Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
allein zurecht. Sollen wir umkehren? Howard bringt vielleicht noch andere schöne Stücke nach oben.«
»Ich glaube nicht, dass ich noch etwas anderes sehen möchte«, sagte David leise. »Nicht heute. Das könnte ich nicht verkraften.«
»Dann gehen wir nach Hause, mein Junge.«
»Du verstehst mich?«
»Natürlich. Deine Künstlerseele ist tief berührt. Du brauchst Ruhe und Abgeschiedenheit, um das Wunder zu begreifen, das du mit eigenen Augen gesehen hast. Und«, setzte ich hinzu, »vielleicht einen kleinen Whisky-Soda.«
Die meisten Zuschauer waren zum Grab zurückgeschlendert, Kevin O’Connell hatte jedoch auf uns gewartet. »Was soll das, Mrs Emerson. Wieso stehen Sie meinen Erzrivalen Rede und Antwort und mir nicht?«
»Seien Sie nicht töricht, Kevin«, antwortete ich. »Ich habe nichts erzählt, was nicht schon allgemein bekannt wäre. Außerdem haben Sie alles mitgeschrieben. Mich wundert bloß, dass ich Margaret Minton nirgendwo entdecke.«
»Sie ist heute nicht aufgetaucht«, sagte Kevin, der sich unserem Tempo anpasste. »Wenn ich es mir recht überlege, hab ich sie seit Ihrer Party nicht mehr gesehen.«
»Wir hätten niemals billigen dürfen, dass sie ohne Begleitung aufbricht«, erregte ich mich.
Natürlich stellte ich unverzüglich Nachforschungen an, und diese bestätigten Kevins Aussage. Keiner hatte Miss Minton seit Heiligabend zu Gesicht bekommen. Der Nachtportier des Winter Palace beteuerte, sie sei an dem fraglichen Abend nicht ins Hotel zurückgekehrt. Er habe sich nichts dabei gedacht. Wenn eine ausländische Dame nachts anderswo übernachtete, sei das nicht seine Angelegenheit.
Kevin war mit den anderen zu uns nach Hause geritten und harrte meiner Rückmeldung.
»Ich hätte auf sie achtgeben müssen«, meinte er niedergeschlagen. Nach einem weiteren tiefen Schluck Whisky-Soda hellte sich seine Miene auf. »Aber Mrs Emerson, Sie glauben doch nicht etwa, dass ihr irgendwas passiert ist, oder? Miss Minton ist dauernd allein unterwegs, weil sie denkt, sie kann uns anderen eine gute Story wegschnappen. Zudem war sie bei ihrem Aufbruch stocknüchtern und nicht allein. Was hat denn der Droschkenkutscher gesagt?«
»Wir haben ihn noch nicht gefunden«, räumte Emerson ein. Wir tigerten beide nervös durch den Salon, ohne uns dabei in die Quere zu kommen. Das hatte uns langjährige Erfahrung gelehrt.
Anders als Kevin waren wir davon überzeugt, dass Margaret diesmal nicht aus freien Stücken unterwegs war. Eine Entführung vielleicht? Von den Bootsleuten hatte sie angeblich keiner über den Fluss gebracht, folglich musste sie sich noch irgendwo am Westufer befinden. Der Kutscher blieb ebenfalls verschollen. Selim, der diese Seite des Flusses bis auf den letzten Winkel kannte, war bei dem Burschen zu Hause gewesen und hatte leider Gottes feststellen müssen, dass der Vogel ausgeflogen war.
Als ich mich auf halbem Wege mit Emerson traf, raunte er mir zu: »Sorg dafür, dass der Kerl die Biege macht, Peabody.«
Kevin hatte ihn gehört wie übrigens alle im Salon. Er stellte sein Glas auf den Tisch und erhob sich ungemein würdevoll. »Ich habe den Wink verstanden, Professor.«
»Hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut«, gab der zurück. Kevin verdrückte sich, soll heißen, er stellte höchstwahrscheinlich eigene Erkundigungen an. Sollte Margaret einer brisanten Geschichte auf der Spur sein, dann war Kevin ihr auf der Spur.
Wir saßen natürlich am längeren Hebel. David und Ramses hatten das Flussufer abgesucht und noch einige andere Fährleute befragt. Sethos begleitete die beiden. Er hatte rigoros darauf gepocht, dass wir Margaret suchen müssten.
»So viel zu den Versprechungen unserer Gegner«, sagte ich bitter. »Wir haben unsere Schutzmaßnahmen gelokkert, und schon haben wir den Salat.«
»O’Connell hat vielleicht doch Recht«, sinnierte Emerson laut. »Womöglich hat sie an dem fraglichen Abend irgendetwas aufgeschnappt, und jetzt jagt sie irgendeiner Exklusivgeschichte hinterher.«
»Unsinn. Sie hatte doch nichts dabei außer einer kleinen Abendtasche und die Kleider, die sie am Leib trug. Das Verschwinden des Kutschers finde ich höchst suspekt. Er steckte mit den Entführern unter einer Decke – und wurde umgebracht, damit er nicht plaudern konnte.«
»Setz dich doch mal hin, Mutter«, bat Nefret, während Emerson und ich einander wie Hund und Katze umschlichen. »Du machst mich ganz nervös. Wenn die von dir Verdächtigten Margaret entführt haben, werden sie ihr
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