Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
unmöglich. Dabei zu sein, wenn eine solche Entdeckung gemacht wird, unter den Ersten zu sein, die mit eigenen Augen der Freilegung einer unerforschten Grabstätte beiwohnen … Ich konnte durchaus nachvollziehen, dass mein Mann Howard Carter die Schau stehlen wollte. Auch wenn es nicht die feine englische Art war.
Da ich Autofahrten mit Emerson im Allgemeinen ablehne und im Besonderen, wenn er es eilig hat, wandte ich hastig ein: »Das Automobil macht einen entsetzlichen Lärm, Emerson. Schätze mal, du möchtest diesen Ausflug nicht an die große Glocke hängen, mmh?«
»Hmpf«, brummte der Angesprochene. Und setzte aufgebracht hinzu: »Pah. Los, beeil dich.«
Er stürmte ins Freie. Ich wusste, zum Satteln der Pferde würde er Jamal wecken müssen, und der war um diese nachtschlafende Stunde kaum ansprechbar. Also beendete ich in aller Ruhe meine Toilette, steckte meinen Hut fest und schnallte mir meinen Utensiliengürtel mit Wasserflasche, brandygefülltem Flachmann, Nähzeug, Taschenlampe und Messer um die Taille. Als ich die Stallungen erreichte, stand Emersons Wallach fertig gesattelt bereit. Der Professor und Jamal waren gerade mit meiner Stute beschäftigt, einem sanften Geschöpf, das ich nach meiner reizenden Schwägerin Eva benannt hatte. (Einige der feurigen Araber mochten das Scheppern meines rundum behängten Gürtels nicht.) Der Junge begrüßte mich mit einer Verbeugung und einem breiten Grinsen. Jetzt erkannte ich ihn wieder, worauf sich mein Verdacht bestätigte. Er war einer von Howards Wasserträgern und derselbe Junge, der am Nachmittag vor unserem Haus gewartet hatte. Auf Emerson, wohlgemerkt.
»Du bist wirklich schlimm, weißt du das, Emerson?«, kritisierte ich ihn. »Welchen hinterhältigen Plan heckst du jetzt wieder aus?«
Emerson griff um meine Taille und setzte mich elanvoll auf die Stute. Dann schwang er sich auf den Wallach, schnappte sich den Jungen und hob ihn vor sich in den Sattel.
»Azmi hier hat die Stufe entdeckt«, erklärte er.
»Auf dein hartnäckiges Betreiben hin?«
»Ich kapier das einfach nicht«, erwiderte Emerson sichtlich gekränkt, »wieso du spontan darauf tippst, ich könnte etwas Unrechtes tun. Ich möchte doch nur einen kurzen Blick riskieren und mich vergewissern, dass Azmi nicht übertrieben hat. Wäre doch jammerschade, wenn sich Carter Hoffnungen machte und dann enttäuscht würde.«
»Howard wäre sicher tief gerührt über deine Besorgnis, Emerson.«
Der Professor antwortete nicht.
Wenn ich nicht pausenlos herumgezetert hätte, wäre Emerson mir bestimmt weggaloppiert. Die Besorgnis um mich veranlasste ihn letztlich dazu, langsamer zu reiten; ich bin nämlich keine besonders gute Reiterin. Gottlob war um diese Uhrzeit niemand unterwegs. Die Straße ins Tal war stockfinster, da die zu beiden Seiten steil aufragenden Felsen das milchige Sternenlicht ausblendeten. Auf mein nachdrückliches Zurufen hin ritt mein Mann schließlich im Schritttempo. Cyrus Vandergelts Schloss zeichnete sich gegen den Sternenhimmel ab, großzügig erleuchtet wie ein Palast mit flackernden Fackeln vor den Toren und im Hof. Howard Carters Haus wirkte dagegen wie eine finstere Hütte, als wir an der Anhöhe vorüberritten, was Emerson ein zufriedenes Wiehern entlockte. Howard schlief noch. Und das bestimmt auch die nächsten Stunden.
Der Eingang zum Tal war natürlich verschlossen. Wir ließen die Pferde vor der Absperrung stehen; Emerson setzte mit einem eleganten Sprung darüber hinweg und hob dann erst mich und dann Azmi über das Hindernis.
Nachts ist das Tal irgendwie unheimlich, totenstill und verlassen wie in jener Zeit, als die Pharaonen noch unbehelligt in ihren Sarkophagen schlummerten, tief in die Felsen gebettet und von unschätzbarem Reichtum umgeben. Hoch oben am Firmament funkelten die Sterne wie lupenreine Diamanten an einem schwarzsamtenen ägyptischen Himmel, gleichwohl konnten wir nicht die Hand vor Augen sehen.
In früheren Epochen hatte es genauso Wächter gegeben wie jetzt; als ein vernehmliches Schnarchen das Schweigen durchbrach, schwante mir, dass die frühzeitlichen Wachen womöglich auch häufiger eingenickt waren und ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt hatten.
Nach einer Biegung hatten wir das fragliche Gebiet erreicht, und ich knipste vorsichtig meine Taschenlampe an.
Howard hatte es nicht einmal für nötig befunden, in der Nähe seines Areals einen Wächter zu positionieren. Warum auch? Er hatte ja noch nichts entdeckt außer den
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