Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
verfallenen Ruinen einiger Arbeiterhütten.
»Prima Idee, Peabody.« Emerson nahm mir meine Taschenlampe weg. »Komm Azmi, zeig mir die Stufe.«
Die Überreste der Hütten waren zwar am Vortag abgetragen worden, aber auf der Felssohle schichteten sich weiterhin etwa einen Meter hoch Sand und Schutt. Azmi deutete auf eine Vertiefung, die ungefähr einen halben Meter lang und dreißig Zentimeter breit war.
»Ich schieb den Sand weg, Vater der Flüche«, sagte er in aufgeregtem Flüsterton. »Dann sieht es so aus, als hättest du sie entdeckt.«
Emerson drückte mir die Taschenlampe wieder in die Hand. Er ging auf alle Viere, begann zu graben wie ein Maulwurf und schaufelte den Sand hinter sich. Seine riesigen, zupackenden Hände waren effiziente Werkzeuge; nicht lange, und er hielt leise fluchend einen blutenden Finger hoch. Er wollte damit kein Mitgefühl wecken, sondern lediglich Azmis Fund bestätigen. Er hatte sich den Finger aufgeschürft an dem schroffen Felsgestein, das dieselbe Farbe hatte wie der Sand ringsum. Prompt steckten wir die Köpfe zusammen, um in das Loch hinabzuschauen. Trotz Emersons Buddelei sackte das Geröll unablässig wieder nach, dennoch gewahrten wir alle die scharfe Kante, die wie ein Treppenabsatz oder eine Stufe anmutete.
Der Professor ließ sich auf die Fersen zurücksinken. Ich wartete gespannt, wie er sich zu der Entdeckung äußern würde, aber er schwieg beharrlich.
»Grab weiter, grab weiter«, drängte der Junge.
»Nein.« Emerson erhob sich behäbig. »Dazu habe ich kein Recht.«
»Ist es nicht ein bisschen spät für solche Skrupel?«, forschte ich. Das archäologische Fieber hatte mich erfasst, und ich war genauso versessen wie Azmi, das Loch weiter auszuhebern »Schütt es zu«, wies Emerson den Jungen in bedächtigem Ton an. Er fasste meinen Ellbogen und zog mich aus meiner Hockstellung hoch.
Azmi stöhnte auf. »Wirklich?«
»Ja, wirklich.«
»Aber Emerson«, echauffierte ich mich. »Kann doch sein, dass es ein ganz natürlicher Felsvorsprung ist. Möchtest du dich denn nicht sachkundig machen?«
»Dazu habe ich kein Recht«, wiederholte der Angesprochene. »Offen gestanden«, fuhr er fort, »war ich auch nicht befugt, so weit zu gehen, wie ich es jetzt getan habe. Und es wäre verdammt unangenehm für mich, wenn das ans Licht käme. Azmi, du musst dafür sorgen, dass Rais Gurgar die Stelle findet. Aber das dürfte nicht weiter schwierig sein.« Er klimperte in seiner Hosentasche herum. »Nimm das, mein Junge. Das ist für dich.«
Wenig später setzte er sich auf die verfallene Mauer des nahen Grabeingangs zu Ramses VI. und zog mich neben sich. Er legte wärmend einen Arm um mich, denn vor Sonnenaufgang war es empfindlich kühl. »Nimm einen Schluck Brandy, Peabody, das ist gut gegen die Kälte.«
»Der Brandy ist ausschließlich für medizinische Zwekke gedacht, und das weißt du auch. Wenn du es nicht so eilig gehabt hättest, hätte ich heißen Kaffee mitgebracht.«
»Mag sein, dass ich zu überstürzt gehandelt hab«, räumte Emerson ein. »Aber du musst mich auch verstehen, Peabody.«
»Ja, mein Lieber, das tue ich doch immer. Woher wusstest du von dieser Stelle?«
»Gestern, nachdem die letzten Hütten abgetragen waren, fiel mir etwas Interessantes auf. Das Geröll lagert nämlich unterschiedlich hoch. Das sticht einem erst ins Auge, wenn man genauer hinsieht. So wie ich«, sagte Emerson mit gespielter Bescheidenheit. »Darauf hab ich Azmi die Stelle gezeigt. Er wartete, bis die Wachleute sich abends hingelegt hatten, dann fing er an zu graben. Er ist flink und er kennt im Tal jeden Winkel. Niemand hat ihn bemerkt. Er kam danach gleich zu mir.«
Mich überlief ein Schauer, eine Mischung aus fiebriger Nervosität und eisiger Gänsehaut. »Verdammt«, knurrte Emerson. »Man dürfte doch eigentlich erwarten, dass die Burschen um diese Uhrzeit Wache halten. Azmi, versuch mal, einen der Wachleute aufzuwecken. Sag ihm, der Vater der Flüche möchte einen Kaffee.«
Azmi trollte sich. Es wurde bereits hell, als er mit zwei Männern zurückkehrte, die Emerson mit Namen begrüß te. »Ihr schlaft tief und fest, Ibrahim und Ishak, während wir hier unbefugt eindringen. Und so was nennt man Wachen?«
Der Ältere der beiden, ein drahtiger Kerl mit grauem Rauschebart, verbeugte sich. »Wir wussten doch, dass es der Vater der Flüche und die Sitt Hakim sind, deshalb ließen wir euch gewähren.«
»Das deutet auf ein ausgezeichnetes Urteilsvermögen.«
Emerson
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