Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
treffe am folgenden Morgen ein. Mehr nicht. Offen gestanden hätte ich ein bisschen mehr Information begrüßt. So beispielsweise: »Hab neue Leute eingestellt« oder »Hab keine neuen Leute eingestellt«, aber ich wusste natürlich, dass Emerson nicht geneigt war, sein gutes Geld in Telegramme zu investieren.
Sethos’ Zustand stabilisierte sich; laut Nefret würde er in ein, zwei Tagen über den Berg sein. Ramses hatte ihm einen scheußlich zerlumpten grauen Bart besorgt und irgendein Wachs, um damit eine neue Nase zu formen. Sethos schien seinen Spaß mit dieser Pampe zu haben; im Verlauf des Tages veränderten sich die Konturen seines Riechkolbens mehrmals. Bis dahin war mir gar nicht bewusst gewesen, wie sehr die Nasenform unser Aussehen beeinflusst. Meine Selbstversuche verliefen leider erfolglos. Das verdammte Zeug wollte nicht kleben bleiben, weil dahinter bestimmt wieder irgendein Trick steckte. Deshalb beschloss ich, in nächster Zeit bei Ramses entsprechende Informationen einzuholen.
Sethos vermochte ich keine weiteren Auskünfte zu entlocken, selbst nachdem ich ihm die kleine, von mir gefertigte Aufstellung vorlegte. »Du hast absolut keine Idee, wer in diese Schattenorganisation involviert ist?«
Mit einem gönnerhaften Grinsen las er die Liste laut vor: »Die Franzosen, die Zionisten, die Anti-Zionisten, Ibn Saud, Feisal von Irak, der Britische Geheimdienst, Sharif Hussein, Gertrude … Gertrude Bell? Aber Amelia! Ich weiß, dass ihr zwei nicht gut aufeinander zu sprechen seid, aber –«
»Ich kann es nicht akzeptieren, wenn gewisse Frauen männliche Privilegien für sich beanspruchen, sie ihren Geschlechtsgenossinnen aber versagen. Gertrude ist eine erklärte Antifeministin mit einem übersteigerten Ego. Und gefällt sich in der Rolle der Königsmacherin. Solche Leute behaupten auch noch dreist, dass der Zweck die Mittel heilige.«
»Es könnte jeder auf der Liste sein oder auch keiner«, erklärte Sethos, mein Urteil über Miss Bell stillschweigend hinnehmend.
»Ich finde, das ist keine sonderlich befriedigende Antwort.«
»Hast du die Liste mit Ramses abgesprochen?«
»Die derzeitige politische Lage ist mir durchaus geläufig«, erwiderte ich. (Ich schwindele nur im absoluten Ausnahmefall.) »Sie ist noch abstruser als deine Geschichte. Seit Ibn Saud seinen Erzrivalen, den Rashid in Hayil schlug –«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Sethos irgendwie abwesend.
»In Hayil hast du Margaret seinerzeit kennengelernt, nicht? Wo steckt sie eigentlich?«
Sethos fuhr zusammen. »Du hast ein ausgesprochenes Talent, von einem Thema zum anderen zu springen«, stöhnte er. »Ich weiß nicht, wo sie ist. Und wenn, was würde dir das nützen? Du willst sie doch sicher nicht informieren, dass ich bei euch bin, oder eine Eildepesche nach Luxor schicken, was? Dann kannst du dich nämlich gleich in den Souk stellen und es lauthals herausposaunen.«
»Möchte sie denn nicht bei dir sein, wenn Gefahr droht?«, erkundigte ich mich.
»Meine liebe Amelia, du bist eine unverbesserliche Romantikerin. Ich sag dir, was sie möchte: eine packende Story. Wenn Carters Grab sich als große Sensation entpuppt, dann ist sie eine der Ersten, die auf der Bildfläche erscheint.«
Er probierte ebenfalls, mich auszutricksen. Trotzdem ging ich auf seinen Themenwechsel ein. »Wer hat dir das mit dem Grab erzählt? Ramses?«
»Ramses macht seit Tagen einen Riesenbogen um mich. Ist dir das noch nicht aufgefallen? Nein, es war Selim. Er und Daoud werten das als ein gutes Omen.«
»Der goldene Vogel«, schnaubte ich. »Herrje, es ist doch bloß Howards Kanarienvogel.«
»Das war Daouds Wortlaut. Selim ist nicht abergläubisch. Seiner Beschreibung entnehme ich, dass Carter auf etwas … Interessantes gestoßen ist.« Er wälzte sich unruhig auf dem Laken. »Ich würde mir für mein Leben gern selbst ein Bild machen. Wann kann ich endlich aufstehen?«
»Erst nach Emersons Rückkehr.«
»Angst, ich könnte stiften gehen?«
»So unbesonnen würdest du nun auch wieder nicht handeln. Erst müssen wir eine neue Identität für dich finden und uns eine plausible Erklärung für deinen Besuch einfallen lassen. Den sterbenden Bettler nimmt dir irgendwann keiner mehr ab.«
»Ich hab da ein paar Ideen«, meinte Sethos gedehnt. »Das glaube ich dir gern. Versuch deine ausschweifende Fantasie zu zügeln, bis Emerson wieder hier ist. Dann halten wir einen kleinen Kriegsrat ab.«
»Ich bin dabei.«
Emerson hatte die beiden jungen Leute
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