Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
Hellste, sagte kaum noch einen Ton, aus Furcht, er könnte sich verplappern. Sein Schweigen fiel allerdings nicht weiter auf, da er in Gesellschaft sowieso nie zu Wort kam.
Jumanas dunkle Augen nahmen einen verklärten Ausdruck an, als »Tony« sich galant über ihre Hand beugte. Fraglos schwärmte sie seit seinem letzten Besuch für ihn, als er sie mit seinem umwerfenden Charme umgarnt hatte. Womöglich bevorzugte sie ältere Männer. Oje, dann wäre Bertie gleich doppelt benachteiligt: Ein umwerfender Charmeur war der arme Junge wahrhaftig nicht.
Bevor wir das Haus verließen, nahm Cyrus mich kurz beiseite. Seine Lockerheit war Skepsis gewichen.
»Was wird hier gespielt, Amelia? Der Bursche taucht doch immer nur dann auf, wenn irgendwas im Busch ist.«
»Ich erzähl es Ihnen ein anderes Mal«, erwiderte ich, mir heimlich das Hirn zermarternd, was ich ihm überhaupt unterbreiten sollte.
»Können nur hoffen, dass er es nicht auf Carters Grab abgesehen hat«, knurrte Cyrus. »Wenn er wieder mit irgendwelchen Tricks arbeitet, zieht Emerson ihm bei lebendigem Leib das Fell über die Ohren.«
Unsere erste Station war Deir el-Bahari, wo die Crew vom Metropolitan Museum arbeitete. Anschließend besuchten wir die Tempel, um dann Kurs auf das Tal der Könige zu nehmen. Diese Besichtigungstour nahm einige Zeit in Anspruch, und als wir uns dem Eingang zum Tal näherten, wurde ich zunehmend nervös. Eine elektrisierende Spannung lag in der Luft (ich reagiere sensibel auf solche Dinge). Natürlich hatte sich die Neuigkeit von einer großartigen Entdeckung in der Öffentlichkeit verbreitet.
Ich spähte zu Sethos, der zügig neben mir ausschritt. Trotz seines angegriffenen Gesundheitszustandes schien er putzmunter. Cyrus’ Bemerkung hatte mich erneut misstrauisch gemacht. Welchen Beweis hatten wir denn, dass Sethos’ Geschichte stimmte? Nur seine Beteuerungen und ein Dokument, das uns bislang nichts als Rätsel aufgab. Die Angriffe auf ihn und auf uns hätten ohne Weiteres auch von Konkurrenten in der Antiquitätenbranche initiiert werden können. Und wenn er sich wieder in seinem alten Metier tummelte, dann würde Carters Grab ihm … interessante Möglichkeiten eröffnen.
Das Grab an sich war unscheinbar. Es gab nichts zu sehen außer den Geröllmassen, die sich auf der Treppe türmten und die Stufen versperrten. Nach einem kurzen Blick schloss sich Suzanne mit einem anmutig französischen Schulterzucken den Touristen an, die das Grab von Ramses VI. besichtigten. Bertie schlenderte ihr nach, und Jumana erbot sich, Nadji einige der interessanteren Grä ber zu zeigen. Wir anderen starrten wie hypnotisiert auf den angehäuften Schutt.
»Keinerlei Hinweis auf irgendwelche Grabungen«, murmelte Emerson nach einer Weile.
»Selbst die erfahrenen Grabdiebe von Kurna würden sich da nicht ranwagen«, sagte Sethos, die Hände tief in den Taschen vergraben. In seinen Augen lag ein sonderbares Leuchten. »Wenn die etwas Unredliches vorhätten, würden sie warten, bis die Treppe freigelegt ist und der Gang offen – immer vorausgesetzt, dass es einen gibt.«
»Würdest du so vorgehen?«, fragte Ramses, seine Stimme bewusst ohne jede Regung.
»So würde jeder vernünftige Mensch vorgehen. Wieso die harte Knochenarbeit, verbunden mit dem Risiko erwischt zu werden, wenn man noch gar nicht weiß, ob sich die Mühe letztlich lohnt?«
Die Grabräuber von Kurna handelten nicht immer vernünftig. Anders als Sethos.
Carnarvon und Lady Evelyn trafen am dreiundzwanzigsten in Luxor ein. Wir waren im Westtal mit der Freilegung von Ajas Grabkammer beschäftigt, das heißt, alle außer Sethos und Daoud. Sethos hatte einen Rückfall gehabt, worauf ich ihm Bettruhe verordnet hatte. Daoud hätte uns eigentlich begleiten sollen; die Tatsache, dass Emerson ihn mit keinem Wort erwähnte, hätte mich gleich stutzig machen müssen. Als er schließlich auftauchte, erkannten wir ihn schon von weitem an dem rhythmischen Klappern seiner riesigen Sandalen auf dem Felsboden.
»Sie sind zum Grab gegangen«, japste er atemlos. »Direkt vom Bahnhof aus.«
»Verständlich«, brummte Emerson. »Kann ich ihnen nicht verdenken.«
»Emerson, glaub ja nicht, dass du dich heute ins Osttal wegstehlen kannst«, schaltete ich mich ein.
»So was würde ich nie tun«, maulte Emerson, ganz gekränkte Unschuld. Unmittelbar darauf setzte er hinzu: »Morgen ist sicher auch noch früh genug. Sie werden ohnehin mehrere Tage brauchen, bis sie den Schutt wieder von den
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