Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
Er bedeutete seinem Butler, die Weingläser erneut zu füllen. »Sobald wir die Grabkammer von Ajas Gruft freigelegt haben, kann Mademoiselle damit beginnen, die Gemälde zu kopieren, und Bertie zeichnet den endgültigen Plan. Wir fangen gleich morgen früh damit an, ja? Ist das in Ordnung für Sie, Emerson?«
»Was?« Emerson starrte ihn abwesend an.
Seine Frau musterte ihn stirnrunzelnd. »Emerson findet genau wie ich, dass wir unseren neuen Mitarbeitern vorher einen eintägigen Ausflug gönnen sollten. Ich nehme an, Sie waren schon lange nicht mehr in Luxor, hm?«
»Ich war noch nie dort«, antwortete Suzanne. »Und ich würde mir gern anschauen, worüber ich schon so viel gelesen habe. Deir el-Bahari, das Tal der Könige, Deir el-Medina und so. Natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben, Mr Vandergelt.«
»Aber nein, aber nein«, wiegelte Cyrus ab. Das Wort der Sitt Hakim war für ihn Gesetz.
»Schön«, sagte jene Dame. »Kommen Sie doch morgen alle zu uns zum Frühstück, und dann starten wir gemeinsam.«
Die Emersons hatten keine eigene Kutsche, weil der Professor weiterhin die Hoffnung hegte, dass seine Frau das Automobil als würdigen Ersatz akzeptieren würde – aber daran hatte Ramses erhebliche Zweifel. Als sie an jenem Abend aufbrachen, stellte Cyrus ihnen wie üblich seine Kutsche zur Verfügung. Die Rückfahrt verlief zunächst schweigend. Nur das entfernte Heulen eines Schakals durchbrach die Stille. Ramses legte einen Arm um seine Frau; die kühle nächtliche Brise blies ihm eine ihrer gelockten Strähnen ins Gesicht, glitzerndes Sternenlicht verlieh der Landschaft bleigraue und silbrige Konturen.
Nefret, die an seiner Schulter eingenickt war, richtete sich unvermittelt auf. »Ich denke, die beiden Neuen und unser Trupp werden sich hervorragend ergänzen.«
»Hmmm«, murmelte ihre Schwiegermutter, die ihnen gegenübersaß. »Ich muss gestehen, ich habe da gewisse Vorbehalte.«
»Aber du wolltest die beiden doch einstellen«, entfuhr es Ramses.
»Von ihrer Ausbildung her passen sie optimal zu uns. Allerdings hatte ich die soziokulturellen Nuancierungen nicht recht bedacht.«
Nefret schmunzelte. »Bertie hat doch nur mit Suzanne geflirtet, damit Jumana eifersüchtig wird.«
»Jumana ist eifersüchtig, aber nicht wegen Bertie«, versetzte Ramses. »Sie hat Bedenken, sie könnte neben Suzanne beruflich ins Abseits geraten und dann nur noch die zweite Geige spielen. Cyrus sollte ihr einen offiziellen Titel geben, sie beispielsweise zur Assistentin ernennen oder so. Das hat sie sich redlich verdient.«
»Ganz meine Meinung«, bekräftigte seine Mutter. »Du musst ihn bei nächster Gelegenheit darauf ansprechen, Emerson.«
»Was?«
Es war noch recht früh, als sie zu Hause eintrafen. Selim saß auf der Veranda und schlürfte Kaffee. »Ein bisschen spät für einen Besuch, was?«, grummelte Emerson.
»Reiß dich zusammen, Emerson«, gab seine Frau zurück. »Es ist überhaupt nicht spät. Ich wollte das Schloss nur so früh verlassen, weil wir noch eine wichtige Sache zu klären haben.«
»Was?«, wiederholte der Professor.
Einen Moment lang glaubte Ramses, sie würde sich auf seinen sichtlich zerstreuten Vater stürzen. »Sethos«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Kiefern hervor.
»Oh.« Emerson fingerte nervös an seinem Kinngrübchen herum.
Selim, der diese kleinen Kabbeleien für gewöhnlich grinsend verfolgte, verzog keine Miene. »Ich habe Neuigkeiten, Sitt Hakim«, sagte er.
»Wusste ich’s doch gleich, dass wieder irgendetwas passiert ist«, rief sie. »Was denn?«
»Der alte Mann ist tot. Der Bettler.«
Emerson setzte sich kerzengerade auf. »Welcher Bettler? Wie? Wann?«
Der Leichnam des alten Mannes war am Abend gefunden worden, hinter einer der Friedhofsmauern. Wie lange er dort schon gelegen hatte, vermochte keiner zu sagen. Selim hatte als einer der Ersten davon erfahren und den Toten genauer inspiziert.
»Keinerlei Hinweis auf Gewalteinwirkung, keine Verletzungen. Ich weiß das so genau, weil er splitternackt dalag.«
»Wieso sollte sich jemand an seiner Kleidung zu schaffen machen?«, fragte Nefret verblüfft. »Er besaß doch nichts von Wert.«
»Vielleicht hat er sich selbst ausgezogen«, meinte Ramses. »Das machte er gelegentlich. Dann spazierte er im Adamskostüm herum und führte Selbstgespräche oder betete, bis sich eine mitfühlende Seele seiner annahm.«
Selim nickte. »Kann durchaus sein. Seine Kleidung lag nämlich neben ihm.« Nach einem
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