Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
dich! Es dauerte eine Weile – nicht sehr lange –, bis mir dämmerte, dass du dich nicht einmal von mir verabschiedet hattest. Das fand ich dann doch sehr merkwürdig. Also kam ich ins Zimmer und sah dich in diesem bedauernswerten Zustand. Sie hatte dir Hände und Füße gefesselt und dich geknebelt, und du hast dich erst gerührt und die Augen aufgemacht, als ich dich losgebunden hatte. Ich bekam es mit der Angst zu tun …«
»Das ist doch jetzt egal«, brüllte ich und schob die sehnigen braunen Hände weg, die mich auf das Bett drückten. »Lauf ihr nach! Hol sie zurück!«
Ich wäre ihr selbst gefolgt, aber das duldete Khadija nicht. Und sie wich mir auch nicht von der Seite. Stattdessen schickte sie Daoud los. Als er eine ganze Weile später mit hängendem Kopf zurückkehrte, musste ich mich der Erkenntnis stellen, dass die Suche hoffnungslos war. Margaret hatte die schwarze, alles verhüllende Habara übergestreift – die ich ihr zu allem Überfluss auch noch besorgt hatte! Damit war sie von anderen ägyptischen Frauen nicht zu unterscheiden. Niemand würde sie erkennen oder von ihr Notiz nehmen, solange sie das Gesicht bedeckt hielt. Überdies hatte sie ihre gut gefüllte Geldbörse mitgenommen, ihr Notizbuch – und meinen Schirm!
Während ich Khadijas heißen, süßen Tee trank, suchte ich den am Boden zerstörten Daoud zu trösten. »Die paar Minuten Vorsprung genügten ihr, Daoud. Und die Chance, dass wir sie aufspüren, ist eher gering. Sie kennt sich in Ägypten aus und sie spricht ein paar Brocken Arabisch, damit kommt sie überall weiter.«
»Es war meine Schuld«, muffelte Khadija. »Ich hätte sie erkennen müssen.«
»In meiner Kleidung und in der Abenddämmerung, wo sie mir auch noch ähnlich sieht? Nein Khadija, das hab ich mir selbst zuzuschreiben. Ich kenne die Dame schon länger und hätte besser aufpassen müssen – vor allem nach der anrührenden Bitte um ein paar Blümchen! Vor meinem Besuch hatte sie alles minutiös geplant: ein schwerer Gegenstand, der sich als Waffe einsetzen ließe, das zerrissene Bettlaken, mit dem sie mich fesselte, ein paar hastig zusammengepackte Habseligkeiten für ihre Flucht. Herr im Himmel! Am besten, ich mache mich auf den Heimweg und informiere den Rest der Familie.«
Bei dem Versuch, meine Freunde zu trösten, hatten sich meine eigenen Empfindungen herauskristallisiert. Dass ich innerlich kochte, wäre noch untertrieben gewesen. Margaret hatte mich nach Strich und Faden geleimt. Und ich lasse mich verdammt ungern vorführen.
Khadija bestand darauf, mich von Kopf bis Fuß abzutasten. Nachdem sie notgedrungen eingeräumt hatte, dass mir bis auf die Beule am Kopf nichts fehle, zog ich eins von Margarets geschmacklosen Kleidern an und schlüpfte in ihre Schuhe. Dummerweise hatte sie mir nämlich auch die Stiefel weggenommen. Ihre Treter waren mir zu groß. Hoffentlich drückten meine Stiefel sie wenigstens so sehr, dass sie Blasen an den Füßen bekäme, überlegte ich nicht ohne eine gewisse Schadenfreude.
Ich sammelte Margarets übrige Habe zusammen und warf sie in ihren Koffer, zusammen mit den Büchern, die ich ihr gutherzig geborgt hatte. Daoud, der mich begleitete, trug mir den Koffer nach Hause. Er verließ mich an der Verandatür und verschwand in der Dunkelheit. Ich konnte es ihm nicht verdenken, wenn er Emerson nicht sehen mochte. Offen gestanden war ich auch nicht scharf darauf. Übersteigertes Selbstbewusstsein (eine Eigenschaft, die man mir öfter vorwirft) und blindes Vertrauen hatten mich zu Unvorsicht verleitet.
Er hatte uns kommen gehört und hielt mir die Tür auf. »War das Daoud?«, wollte er wissen. »Wieso kommt er nicht mit rein? Wo zum Henker warst du so lange? Du kommst zu spät zum Essen. Maaman wird –«
»Irgendetwas ist passiert«, rief Nefret und lief zur Tür. »Mutter, wo sind deine Sachen?«
Emerson war das natürlich nicht aufgefallen. Ich schwankte und griff mir an den Kopf. Emersons Verärgerung wich Betroffenheit. Er zog mich in seine Arme.
»Bist du verletzt? Peabody, sag doch was!«
Das konnte ich nicht, da er mir ungelogen die Luft abschnürte. Die anderen scharten sich um uns, und Fatima kam laut lamentierend aus dem Haus gestapft. Gerührt ob ihrer Besorgnis gelang es mir, Emersons Klammergriff etwas zu lockern und ihn tapfer anzulächeln.
»Ein Whisky-Soda würde mir jetzt guttun.«
»Leg sie auf die Ottomane, Vater«, riet Ramses, worauf er die Große Katze des Re von ebendiesem Möbelstück
Weitere Kostenlose Bücher