Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
verscheuchte.
Emerson schob mich behutsam auf das Sofa. Von leichten Schuldgefühlen geplagt, dass ich dem armen Mann einen solchen Schrecken eingejagt hatte, setzte ich mich auf und nahm Ramses das gefüllte Glas ab.
»Danke, mein Junge. Ich hatte einen kleinen Schwächeanfall, mehr nicht.«
Sethos sprach als Erster. »Gehe ich recht in der Annahme, dass Margaret etwas mit deinem – ähm – kleinen Schwächeanfall zu tun hat?«
Der Augenblick der Wahrheit war gekommen. Nefret drängte darauf, mich in ihrer Praxis genauer zu untersuchen, und Emerson war immer noch schreckensbleich. Ich nahm einen ordentlichen Schluck Whisky und straffte die Schultern.
»Margaret ist entkommen. Sie hat mich bewusstlos geschlagen, mir die Sachen gestohlen und sich dann aus dem Haus geschlichen. Als Khadija mich fand, war Margaret verschwunden. Daoud hat nach ihr gesucht, jedoch vergeblich.«
»Grundgütiger«, erregte sich Emerson. »Hölle und Verdammnis! Sie hat dich geschlagen?«
»Halb so wild«, gab ich zurück. »Ich hab eine kleine Beule … Autsch.«
Nefret tastete fachmännisch meinen Kopf ab. »Genau hier. Gottlob, kein Schädelbruch. Wie viele Finger halte ich dir hin?«
»Vier«, erwiderte ich. »Ich habe keine Gehirnerschütterung. Macht euch nicht unnötig Gedanken meinetwegen. Wir müssen unverzüglich beraten, was wir unternehmen wollen, um sie zu finden. Das Beste wird sein, wir diskutieren das beim Abendessen. Von der ganzen Aufregung hab ich einen Mordshunger bekommen.«
Zuversichtlich, dass mir nichts fehlte, ging Emerson dazu über, mich zu kritisieren. »Also wirklich, Peabody. Du erstaunst mich. Wie konntest du bloß so unvorsichtig sein?«
Er stocherte aufgebracht in dem wehrlosen Fisch auf seinem Teller herum. Gräten flogen.
»Vorwürfe bringen uns nicht weiter«, meinte Ramses mit einem belustigten Blick zu mir. Er machte sich zwar Sorgen um Margaret, hatte aber bereits betont, dass sie letztlich für sich selbst verantwortlich sei. Immerhin hatten wir alles Menschenmögliche versucht, um sie in Sicherheit zu wissen.
Nachdem ich meinen Besuch und die anschließende Suchaktion umfassend geschildert hatte, wirkte Sethos kaum beeindruckt. Er aß mit gutem Appetit weiter.
»Wo kann sie bloß sein?«, fragte Nefret stirnrunzelnd. »Bestimmt trägt sie ihre – pardon, Mutters – europäische Kleidung unter der Einheimischentracht, deshalb konnte sie Kurna auch unbehelligt verlassen. Aber was dann? Als Ägypterin geht sie nicht lange durch, und sie hat keine Bekannten am Westufer. Vielleicht kommt sie her.«
»Nein«, meinte Sethos. Fatima räumte seinen Fisch – besser gesagt die Gräten – ab und stellte einen Teller mit Fleischragout vor ihn hin. Sethos griff zu Messer und Gabel. »Nach meinem Ermessen kennt sie nur ein Ziel.«
Ramses’ dichte schwarze Brauen schossen nach oben. »Mitten in den Trubel. Das Winter Palace.«
»Oder in eins der anderen Hotels.« Sethos nickte bekräftigend.
»So töricht würde sie nicht sein«, entrüstete sich Nefret.
»Oh doch.«
»Du hast Recht«, versicherte ich, da ich mich auf eine von Margarets früheren Eskapaden besann. »Aber jetzt ist Hochsaison. Sie wird nirgends ein Zimmer bekommen.«
»Gekleidet wie die Sitt Hakim und von einer frappierenden Ähnlichkeit mit jener berühmten Dame?« Sethos schob sich einen Bissen Fleisch in den Mund, kaute und schluckte, derweil wir anderen krampfhaft überlegten.
»Worauf warten wir dann noch?«, rief ich und schob meinen Teller beiseite. »Wir müssen uns umgehend auf die Suche machen.«
Emersons Augen verengten sich zu saphirblauen Schlitzen, seine Lippen entblößten strahlendweiße Zähne. »Du nicht, Peabody. Dich lass ich nicht mehr aus den Augen.«
»Sie nicht«, räumte Sethos sachlich-kühl ein. »Aber ich. Vielleicht kann ich sie ja zur Vernunft bringen. Wird auch höchste Zeit, dass ich meiner Verantwortung als Ehemann gerecht werde.«
Wie wahr, dachte ich im Stillen. Laut sagte ich: »Du willst doch hoffentlich nicht allein losziehen, mmh?«
»Wer kommt freiwillig mit?« Sethos ließ den Blick über den Tisch schweifen. »Nein, du nicht, Nefret, du bist zu weichherzig. Du auch nicht, Emerson, du würdest glatt die Nerven verlieren.«
Einen Augenblick später: »Bleib nur noch ich übrig«, murmelte Ramses.
»Genau«, bekräftigte Sethos.
Aus Manuskript H
Sie nahmen die Pferde. Ramses hatte genauso wenig Lust wie die anderen, für seinen Onkel den Aufpasser zu spielen, und war fest
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