Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
dieses neu erwachte Interesse?«
Ramses und sein Onkel tauschten vielmeinende Blicke aus. »Ich hab dir doch gesagt, dass sie alles merkt«, sagte Erstgenannter.
»Scheint mir auch so.« Sethos nahm sich den anderen freien Stuhl, worauf Ramses stehen musste. Dann sprachen beide auf einmal.
Indem ich sie von Zeit zu Zeit unterbrach und wieder auf das eigentlich Thema lenkte, bekam ich eine zusammenhängende Schilderung. Nach meinem Dafürhalten brachte die neuere Entwicklung kein Licht in die Sache, und das gab ich auch zu bedenken.
»Diese Sache wird mit jedem Tag undurchsichtiger. Ihr habt untersucht, ob das Dokument eine versteckte Botschaft enthält, verstehe ich das richtig?«
»Ich hab es mit den gebräuchlichen Hilfsmitteln versucht.« Behutsam hielt Ramses das Dokument ins Licht. »Wärme, Zitronensaft, die einschlägigen Chemikalien. Nichts.«
»Wir dürfen es erst zurückgeben, wenn wir uns hundertprozentig sicher sind.«
Sethos lehnte sich zurück. »Sieh mal, Amelia. Ich hab keine Lust mehr. Sollen sie doch ihr wertvolles Dokument zurückhaben. Es hat nichts mit unserer Sache zu tun.«
»Ich bin geneigt, dem zuzustimmen«, warf Ramses ein. Sethos bedachte ihn mit einem spöttischen Grinsen.
»Trotz der Tatsache, dass es für irgendeine Gruppe oder Gruppierung kritisch werden könnte?«, fragte ich.
»Das wissen wir doch gar nicht«, argumentierte Ramses. »Diplomaten verschlüsseln die abstrusesten Dinge. Ob eine Regierung scheitert oder ein hoher Beamter entlassen wird, muss uns doch nicht interessieren. Wir haben alles Machbare versucht und viel riskiert. Wenn wir damit einen Schlussstrich unter die Angelegenheit ziehen könnten –«
»Das wissen wir auch nicht«, konterte ich. »Dass sie auf Rückgabe drängen, kann ein Trick sein.« Mein gestrenger Blick schoss zu meinem Schwager. »Hattest du etwa vor, die angegebene Adresse aufzusuchen und heimlich zu beobachten, wer das Schriftstück an sich nimmt?«
»Nie im Leben«, sagte Sethos prompt. »Die Gegend ist mir nämlich alles andere als sympathisch.«
»Also dann schlage ich vor, dass wir noch ein, zwei Tage abwarten. Ich habe fest vor, Mr Smith zu treffen, wenn ich in Kairo bin. Kannst du sie solange hinhalten?«
Sethos strich sich über den Bart. »Ich kann es versuchen.«
»Sag ihnen, dass wir ihr Angebot überdenken und geneigt sind zu akzeptieren, aber noch ein paar Tage brauchen.«
»Du musst mir nicht in den Mund legen, was ich zu sagen habe, Amelia«, entgegnete Sethos unerwartet heftig.
»Gut, dann sag, was du willst.« Ich erhob mich und glättete meinen Rock. »Mach inzwischen weiter mit deiner Recherche, Ramses. Ich werde mir das unsägliche Dokument später noch anschauen.«
Zwischen Ramses’ Augenbrauen bildete sich eine steile Falte. »Verzeih mir, Mutter, aber meinst du im Ernst, du weißt mehr als ich?«
Ich klopfte ihm beschwichtigend auf die Schulter. »Das wird sich noch herausstellen, mein Lieber. Erst mal abwarten und Tee trinken.«
Mit Sonnenschirm und Utensiliengürtel ausstaffiert wies ich Jamad an, meine sanfte kleine Stute zu satteln. Strahlender Sonnenschein und ein laues Lüftchen waren ideal für einen Ausritt, gleichwohl kreisten meine Gedanken um Sethos’ Lagebericht. Sehr merkwürdig, dachte ich, während Eva zielsicher zu einem mit Zuckerrohr beladenen Karren trabte. Die ganze Geschichte war so verworren, dass ich mir beim besten Willen keinen Reim darauf machen konnte.
Bei meiner Ankunft im Westtal plauderte Emerson gerade mit Daoud, der kurz vor mir eingetroffen war. Er wandte sich unversehens zu mir, um mir das Neueste zu berichten.
»Die Dahabije von Professor Breasted und seiner Familie liegt in Luxor vor Anker.«
»Wie schön«, sagte ich trotz Emersons sauertöpfischer Miene. »Ich werde versuchen, sie heute Nachmittag zum Tee einzuladen. Was hältst du davon?«
»Tu, was du nicht lassen kannst«, grummelte der Professor pikiert.
»Ja, ja, mein Schatz. Nun lauf und such nach unerforschten Gräbern.«
Zu den Gegenständen an meinem Gürtel gehören nicht zuletzt auch Stift und Notizblock. Ich setzte mich auf einen einladend flachen Felsblock und brachte eine kurze Nachricht zu Papier, die ich Daoud in die Finger drückte.
»Bitte, händige das unverzüglich aus. Und noch eins, Daoud. Hast du Erkundigungen über Miss Minton eingeholt?«
»Aber ja, Sitt Hakim.« Daoud krauste die Stirn, da er sich erneut an seine gescheitere Mission erinnerte. »Sabir erzählte mir, sie habe das
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