Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
sich mit dem grundgütigen, fröhlichen Notar nicht streiten lasse. Der Industrielle habe als Handwerker begonnen, verschiedene Patente entwickelt, im Laufe der Jahre ein Imperium in Europa aufgebaut, das sich zu hundert Prozent in seinem Besitz befinde, und sei nun drauf und dran, auf dem amerikanischen Markt Fuß zu fassen. Der Chirurg sei sein, Daniels, ältester Freund…
Bartenberg lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete sein Gegenüber unauffällig. »Peter Sattler«, murmelte er nachdenklich. »Wenn es um Frauen geht, ist er ein ausgemachtes Schlitzohr. Aber auf den Freund kann man sich blind verlassen. Acht Jahre lang sind wir im Schottengymnasium auf derselben Schulbank gesessen. Wir haben zusammen Sport gemacht und sind zusammen in die Tanzschule gegangen und schließlich gegen den Willen unserer Eltern gemeinsam quer durch Europa getrampt. Peter wollte eigentlich Gynäkologe werden, dann hat ihn die Leidenschaft für die Chirurgie gepackt. Er ist von seinem Beruf besessen…«
Sattler hatte bemerkt, dass von ihm die Rede war. Er beugte sich zu Amelie, sein Bein streifte das ihre. »Glauben Sie nicht alles, was er Ihnen erzählt. Anwälte sind Wort und Rechtsverdreher, und dieser hier wird teuer dafür bezahlt, dass er den Leuten ein X für ein U vormacht.« Er grinste und zwinkerte ihr zu. ›Aufgesetzter Charme, gefallsüchtig‹, entschied sie für sich und lächelte betont schwach zurück.
Die Freunde begannen sich über Amelie hinweg zu unterhalten. Sattler fragte nach Chicago, nach einer Penny und einer Anne, Daniel wich aus. Dabei bezog er die links von ihm sitzende Anja, die bislang etwas isoliert gewesen war, geschickt in das Gespräch ein. ›Wie locker er das macht, er drängt sich nicht vor und wird doch automatisch zum Mittelpunkt‹, stellte Amelie im Stillen fest. Sie fühlte sich wohl neben ihm. Und sicher. Als sie nicht mehr daran zweifeln konnte, dass das Bein des Chirurgen absichtsvoll Kontakt mit dem ihren suchte, rückte sie unauffällig weiter nach links, zu Daniel, der eben über die durch das Attentat veränderte Befindlichkeit des Durchschnittsamerikaners sprach. ›Er ist nicht so schön wie dieser Sattler…eigentlich ist er das Gegenteil von schön…Aber er ist unglaublich präsent. Auch körperlich.‹
Die beiden schwarz-weißen Hausmädchen servierten leise und geschickt. Das Essen war ausgezeichnet. Fasan. Nicht ganz leicht zu tranchieren. An Leopold Bartenbergs Tischende wurde über Jagd gesprochen. »Man hat mir von Ihrem Jagdhaus erzählt, es soll ja ganz bezaubernd sein«, hörte Amelie die Industriellenfrau mit etwas schriller Stimme sagen.
Der Chirurg und Daniel waren beim Sport gelandet. Als wolle er Amelies Aufmerksamkeit auf sich ziehen, legte Sattler seine Hand auf die ihre und fragte: »Wussten Sie, dass Daniel ein gefürchteter Boxer ist?«
Amelie tat, als taste sie nach ihrer Serviette, und entzog ihm ihre Hand. »Nein, das wusste ich nicht«, erwiderte sie artig und war froh, dass Sattler munter weiter tratschte. Ja, ein Sportass sei dieser Bartenberg, ein tollkühner Tiefschneefahrer, Tennisspieler, Schwimmer, nur für Golf habe er nicht viel übrig, aber das werde schon noch kommen.
Amelie tat, als höre sie zu, und ließ ihre Augen wandern. Sophie, die rechts vom Chirurgen saß, war in eine Debatte mit dem Notar und dem ihr gegenübersitzenden Industriellen verstrickt. Das Gespräch schien sich um das intellektuelle Leben in Wien zu drehen. ›Eine hübsche Frau, diese Sophie, immer noch anziehend, trotz ihres Alters‹, dachte Amelie und bewunderte die schönen Gebärden der Witwe. ›Temperamentvoll, aber schaumgebremst. Kinderstube halt.‹ »In Wien tragen die Intellektuellen ihren Intellekt vor sich her wie eine Standarte«, hörte sie den Industriellen plötzlich ganz deutlich sagen. Der Satz gefiel ihr. Sie lächelte.
»Sie sehen vergnügt aus, ich wüsste zu gerne, was Ihnen augenblicklich gefällt.« Es war Daniel, ziemlich dicht an ihrem Ohr. Hatte er sie so genau beobachtet?
Sie sah zu ihm auf, seine Augen lachten, sie konnte nicht anders, als zurückzulachen. »Alles«, sagte sie laut.
Einen Augenblick später klopfte Leopold Bartenberg an sein Glas und erhob sich. »Liebe Freunde, Sie wissen, dass ich Sie heute in dieses Haus bat, um eine Rückkehr zu feiern«, begann er und räusperte sich, sichtlich gerührt, ehe er mit der Gewandtheit eines, der ans Reden aus dem Stegreif gewohnt war, fortfuhr. Es gehe um Daniel. Nach
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