Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
indem es ihr mit einem diskret gemurmelten »Darf ich bitten, gnädige Frau« den Fuchs von den Schultern nahm. Auf einer Empirekommode lag ein aufgeschlagenes Gästebuch. Drei Namen standen schon drin. ›Gott sei Dank, ich bin nicht die Erste.‹ Das Hausmädchen wies auf die in einem ledernen Rahmen gesteckte Tischordnung. Amelie sah pflichtschuldig darauf, las die Namen vor Nervosität nicht, nickte und folgte dem Mädchen, das ihr durch den langen Gang mit den Familienporträts zum Salon voranging. Die hohe Flügeltür stand offen. Kinn hoch, Schultern zurück, rein ins Geschehen…
Leopold Bartenberg stand mit zwei älteren Damen und einem gleichfalls nicht mehr taufrischen, runden Herrn neben dem Flügel. Das Grüppchen schien sich gut zu unterhalten, der Dicke lachte laut. Als Bartenberg Amelie sah, stellte er sein Glas ab und kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. »Willkommen, meine Liebe, welche Freude, Sie bei mir zu sehen.« Seine Augen funkelten, als er sie betrachtete. Sein Vergnügen über ihr Kommen und ihren Anblick wirkten rückenstärkend, Amelie fühlte sich sicherer, ihre Nervosität wich. Wer weiß, vielleicht würde sie den Abend schließlich genießen.
Der Salon mit den wenigen Menschen schien größer, als sie ihn in Erinnerung hatte. In der Bodenvase, die im vergangenen Frühling schwer von duftendem Flieder gewesen war, hatte ein Könner eine asiatisch anmutende Kreation aus Zweigen, Binsen und einer einzigen exotischen Blüte gesteckt. Ein zweites schwarzweißes Hausmädchen, Hände in den hierorts offenbar obligaten weißen Zwirnhandschuhen, hielt ein silbernes Tablett mit Champagner bereit. Während Amelie noch an ihrem ersten Glas nippte, hatte der Dicke mit dem jovialen Lachen bereits zwei davon gekippt und griff eben nach einem dritten.
»Ein Essen in kleinem Freundeskreis«, erklärte Bartenberg eben den Abend. »Um den Einstieg meines neuen Partners zu feiern.« Er lächelte froh. Die Anwesenden nickten und lächelten zurück. Sie schienen über den neuen Partner Bescheid zu wissen. Amelie, die das nicht wusste, wagte nicht zu fragen. Sie lächelte gleichfalls, schweigend, und studierte die Anwesenden, mit denen Bartenberg sie bekannt gemacht, deren Namen sie jedoch nicht behalten hatte.
Eine der beiden älteren Damen, die vor ihr da gewesen waren, schien in einem näheren Verhältnis zum Gastgeber zu stehen. Eine immer noch schöne Frau mit elegantem Gebaren. Sie verwickelte Amelie in ein Gespräch, in das sie Informationen zur eigenen Person einfließen ließ: ursprünglich Kinderärztin, Witwe eines Diplomaten, welcher ein enger Freund von Leopold Bartenberg gewesen war. Auf ihre »alten Tage« Bridgepartnerin Bartenbergs, zuweilen begleite sie ihn in Konzerte, in die Oper.
Die zweite ältere Dame entpuppte sich als Ehefrau des Dicken. Dieser wiederum war Notar. Ein Jugendfreund von Bartenberg, mit dem er offenbar auch in geschäftlicher Verbindung stand. Er sprach die gleiche, für das gehobene Wiener Bürgertum typische, im Aussterben begriffene Sprache, die Amelie immer wieder entzückte.
Das Paar, das nach Amelie eintraf, unterschied sich in jeder Hinsicht von den bereits Anwesenden. Beide etwa Mitte vierzig, modisch gekleidet, jedes zehnte Wort ein Anglizismus. Lauter als die anderen, vor allem der Mann. Ein gut aussehender Mensch, der offenbar nicht anders konnte, als sich in Szene zu setzen. Von Beruf Chirurg. Wohl ein Star in seinem Fach, wie Amelie seinen unüberhörbaren Anspielungen entnehmen musste. Als sie sich davon wenig beeindruckt zeigte, sah er sich um und fragte: »Wo ist der Heimkehrer?« Sie hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Ihre Augenbrauen begannen auf und niederzuschwingen, ihre Augen wurden dunkel, um eine Antwort verlegen öffnete sie ein wenig den Mund, und ihre Zähne schimmerten. Der Chirurg kniff die Augen zusammen und betrachtete sie ungeniert. Das Gesicht der Frau, mit der er gekommen war, nahm einen gespannten Zug an, die Sehnen an ihrem Hals traten vor, sie musterte Amelie wachsam. Amelie entwich an die Seite der Diplomatenwitwe.
Letztere schien das wohlwollend zu vermerken, sie tätschelte Amelies Arm. »Der Herr Primarius ist sehr von sich überzeugt«, raunte sie ihr zu. »Fachlich übrigens mit Recht. Seine Spezialität sind Organtransplantationen. Allerdings hält er sich auch als Mann für unwiderstehlich, was seine Lebensgefährtin nur begrenzt beglückt. Verständlicherweise. Sie lebt seit zehn Jahren mit ihm zusammen und
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