Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
Hofrat kein Fixpunkt. ›Wer weiß, wer dort sein wird, Intellektuelle, Berühmtheiten, Snobs…Keiner, an den ich mich halten kann…Hoffentlich bin ich gut in Form an dem Abend. Wenn nicht, wird’s eine Qual. Aber ich werde nicht in Form sein, weil ich zur Zeit nie gut in Form bin… Ich tu mir das nicht an, nein, ich sage ab…Geht ja nicht, ich habe ja längst zugesagt… Kneifen gilt nicht, du musst da durch, Amelie!‹
Josefine Zadrazil hatte sich des Jerseykleids von Amelies Großmutter tatsächlich angenommen. Sie hatte es enger genäht und gedämpft und ließ es sich nicht nehmen, ihr Werk am lebenden Modell zu begutachten. Breitbeinig saß sie im Zimmer und rief durch die geöffnete Tür in den Gang: »Brauchn S’ mi, Fräu’n Lenz? I hüf Ihna mit die Knepf an de Ärmö. Na?… Na donn net… San S’ boid so weit?«
Als Amelie endlich ins Zimmer trat, pfiff die Hausmeisterin durch die Zähne, und ihre Augen bekamen einen fast zärtlichen Glanz. »Jessas Fräu’n Lenz! Se san de Schenste!«, seufzte sie beglückt und machte ihrer Begeisterung in einem nicht enden wollenden Wortschwall Luft: Diese Figur! Die schmale Taille! Und endlich einmal nicht mehr diese schrecklichen Hosen, endlich einmal ein frauliches Erscheinungsbild, endlich seien die Beine vom Fräu’n Lenz zu sehen. Und an denen sei ja nun bei Gott nichts zu verstecken. Die zartesten Fesseln der Josefstadt! Und das Haar! Aufgesteckt getragen, mache es aus dem Fräu’n Lenz die vollendete Dame… Plötzlich hielt die Zadrazil inne, kniff die Augen zusammen und musterte Amelie nachdenklich. … »Irgandwos g’heat no…des Grau is a bissl trist, an Aufputz muass her.«
Amelie nickte und verschwand. Sie wühlte in Großmutters Koffer, kramte eine der Strassbroschen hervor und steckte sie knapp unterm Ende des spitzen Ausschnitts an. Raffiniert, zieht den Blick auf die Haut, dachte sie, und weil sie sich sowieso schon verrucht vorkam, griff sie sich auch noch den Silberfuchskragen, schüttelte ihn aus und warf ihn lässig über eine Schulter.
Die Zadrazil war überwältigt. Als Amelie fragte, was sie ihr für die Änderung des Kleides schulde, antwortete sie streng: »Woin S’ mi kränkn?!« Sie ließ es sich nicht nehmen, mit Amelie vor die Haustür zu gehen, mit ihr auf das bestellte Taxi zu warten und sie hineinzuverfrachten. »Sie sind wie die gute Fee aus Aschenputtel , Frau Pepi«, sagte Amelie gerührt. Worauf die ihrerseits gerührte Hausmeisterin murmelte: »Is scho guat. Jetz brauch ma nur mehr an Prinzn.«
Das Taxi schaukelte in Richtung Dritter Bezirk. Sowie Licht von der Straße ins Wageninnere fiel, konnte Amelie ihr Gesicht im Rückspiegel sehen. Durch das hochgesteckte Haar schienen ihre Augen noch größer, die starken Augenbrauen wirkten gradezu dramatisch, der lange schlanke Hals wuchs aus dem Pelz wie…wie hatte Uli einst gesagt? Wie ein Tulpenstängel.
Sie stieß einen zufriedenen kleinen Seufzer aus und sah zum Fenster hinaus. Die Ringstraße. Zu jeder Jahreszeit eine Pracht. ›Ich liebe diese Stadt, mehr noch als Salzburg‹, dachte sie. Etliche Meter vor dem Übergang zwischen Rathaus und Burgtheater schoss ein Radfahrer knapp vor dem Taxi über die Fahrbahn, der Chauffeur bremste jäh und schimpfte gottlos auf diesen und alle anderen Radler Wiens.
Was war noch an dieser Stelle gewesen? Aber ja… Folgsam spuckte Amelies Unterbewusstsein den Moment aus, an dem sie selbst an einem stürmischen Regentag in langen Sprüngen über den Ring gesetzt hatte. Der Wind hatte ihren Hut weggerissen, eine Autolawine war auf sie zugerollt, etliche Fahrer hatten ärgerlich gehupt… und wenige Minuten später war sie in einen Mann gerannt, von dem sie lange gedacht hatte, er würde ihr Schicksal werden.
Ewig schien das her zu sein und war doch erst vor einem Jahr gewesen…Aber was für ein Jahr! Es hatte alles verändert, das Jahr des Phantoms mit den Gamaschen, das Jahr des Gregor Freytag ›…Nein, nicht an Gregor denken, nicht jetzt…‹ Das Taxi hielt vor dem Bartenberghaus. Die Fenster zu ebener Erde und im ersten Stock waren hell erleuchtet. Amelie wischte alle Gedanken an Gregor beiseite und konzentrierte sich auf ihr Entrée.
›Hoffentlich bin ich richtig angezogen, hoffentlich sind die Leute nett, hoffentlich blamiere ich mich nicht. Wenn der Abend nur schon vorbei wäre…‹ Ein ältliches Hausmädchen in Schwarz-Weiß nahm Amelie die Entscheidung, ob sie mit oder ohne Pelzkragen weitergehen solle, ab,
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