Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
Tageszeiten. Einmal hatte er nach ihrem Befinden gefragt. Ein andermal hatte er ihr erzählt, dass er begonnen habe, sein Büro in der Kanzlei Bartenberg nach seinem Geschmack umzugestalten. Gestern erst hatte er ihr von einem Cocktail bei Peter Sattler erzählt. Der Chirurg habe sich derart eindeutig nach Amelie erkundigt, dass er, Bartenberg, ihm empfohlen habe, sich nicht weiter ins Zeug zu legen, die schöne Spielzeughändlerin sei nicht an Chirurgie interessiert. Er hoffe, damit in ihrem Sinne gehandelt zu haben. Falls nicht, sei er bereit, den Irrtum wiedergutzumachen… Darüber hatten sie geblödelt und gelacht. Entspannt war Amelie in den »Orient« geklettert und hatte über Daniels Anrufe nachgedacht. Anfangs war sie darüber verwundert gewesen, inzwischen wartete sie schon auf sie. ›Es ist seine angenehme Stimme, sonst nichts‹, hatte sie sich versichert.
Bartenberg fragte, ob er sie am nächsten Tag sehen könne, die Pläne für sein neues Büro seien da, er würde gerne ihre Meinung dazu hören.
»Warum ausgerechnet meine Meinung?«
»Weil mir Ihr Laden gefällt, weil Sie einen Sinn für das Ästhetische besitzen, weil ich Sie für eine Frau mit ausgeprägtem Gespür für Harmonie halte.«
»Ich fühle mich geehrt«, antwortete Amelie lachend.
»Darf ich das als Zusage nehmen? Mittagessen im Schwarzen Kameel , diesmal im Restaurant?«
»Mittags geht es nicht.«
»Also später Nachmittag? Sagen wir siebzehn Uhr, was halten Sie vom Café Bräunerhof?«
Amelie sagte zu und legte unbewusst lächelnd den Hörer auf. Uli hatte sie während des Gesprächs beobachtet.
»Wer war das?«, wollte er wissen.
»Ein Bekannter«, sagte sie leichthin.
»Neu?«
»Ziemlich«.
»Was Seriöses?«
Amelie musste lachen. »Du fragst wie meine Mutter.«
»Stell dir vor, ich wäre sie.«
»Dann würde ich sagen: Es handelt sich um einen durchaus seriösen Menschen, der mir flüchtig bekannt ist.«
Uli musterte sie aus halb geschlossenen Augen, um nach einer Weile nachdenklich festzustellen: »Na, gar so flüchtig kann die Bekanntschaft nicht sein. Du warst verinnerlicht, als du mit ihm gesprochen hast.«
Erst als Amelie in Sichtweite des Café Bräunerhof war, fiel ihr ein, dass sie vor etwas mehr als einem Jahr in einem tranceähnlichen Zustand hier gesessen hatte und überzeugt gewesen war, eben ihr Schicksal gerammt zu haben. ›Wie blöd der Mensch sein kann. Monatelang einer fixen Idee aufzusitzen. Am falschen Objekt noch dazu.‹ Sie schüttelte den Kopf und verdrängte die Erinnerung an Gregor Freytag.
Bartenberg saß in einer Fensternische und lächelte ihr durch die trübe Scheibe entgegen. Als er ihr aus dem Mantel half, hob er ihr Haar, um es nicht zu verwirren, dabei streifte seine Hand ihren Nacken. Es sei kalt geworden, die Zeit für heiße Schokolade breche an, ob er ihr eine Tasse bestellen dürfe? Sein Vorschlag überraschte Amelie. Heiße Schokolade war so ziemlich die einzige Süßigkeit, die sie gerne zu sich nahm. Sie nickte und deutete auf die Pläne, die er vor sich ausgebreitet hatte.
»Das neue Büro?«
»Ja, so stelle ich es mir vor. Falls Leopold einverstanden ist. Mein Onkel ist ziemlich traditionsverbunden, in der Kanzlei hat sich seit den Tagen meines Großvaters kaum etwas verändert. Gediegen, aber unzeitgemäß.«
Was Bartenberg der Jüngere vorhatte, kam Amelie wie eine gründliche Entrümpelung vor. Neue Materialien, viel Licht, ein eigenwilliges Raumkonzept. »Klingt nach Feng Shui«, bemerkte sie.
Er sah sie scharf an. »Es ist Feng Shui. Ich bin oft genug in China und Japan gewesen, um von Feng Shui überzeugt zu sein, und empfände es als widernatürlich, mich nicht danach zu richten.«
Amelie hatte ihre Hände um die heiße Tasse gelegt, blies sachte auf die Schlagobershaube und überlegte. »Haben Sie früher nie daran gedacht, in die Kanzlei Ihres Onkels einzusteigen?«, fragte sie, ohne ihn anzusehen.
Er dachte eine Weile nach, ehe er antwortete. »Nicht, als ich jung war. Ich wollte nichts Altes übernehmen, ich wollte etwas Eigenes schaffen. Später, als meine Tochter auf der Welt war, habe ich daran gedacht. Ich wollte, dass sie in meiner Heimat aufwächst, dass sie und ich dieselbe Sprache sprechen. Worunter ich verstehe, dass man dieselbe Sprache nicht nur spricht, sondern in ihr auch denkt und empfindet.«
Sie sah ihn schweigend an, ihre Augenbrauen schwebten hoch über runden Augen, was bedeutete, dass sie gespannt auf eine Fortsetzung wartete.
Weitere Kostenlose Bücher