Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
sie sah nur Bartenbergs Gesicht, das immer näher kam. Im Zeitlupentempo hob Amelie ihren nackten Fuß, stemmte mit Bedacht ihre Zehen gegen Bartenbergs Stirn, fester, immer fester drückte sie dagegen und zischte eiskalt: »Nimmermehr, mein Bester.« Sie hörte Bartenberg plumpsen. Dann sah sie, wie die Frau da unten sich über ihn warf. Er umschlang sie. In eindeutiger Absicht. Während sie, Amelie, sich verzweifelt an August klammerte und weinen wollte und keine Träne zustande brachte.
Am Morgen erfand Amelie eine Auslagendekoration für die Endzeit ihres Ladens. Sie kaufte rote Lackfarbe, malte damit »Totaler Abverkauf« an den unteren Rand des Schaufensters und setzte den Bären an seinen angestammten Platz auf dem verspiegelten Boden des Schaufensters. An seine erhobene rechte Vorderpfote heftete sie ein auffallendes blaurot kariertes Taschentuch. Es sah aus, als wolle er damit zum Abschied winken. Zwischen seine Hinterpfoten klemmte sie ein Schild, auf dem in unbeholfener Kinderschrift August und Amelie Lenz sagen für immer Adieu geschrieben stand. Und unter seinem lieben, dummen, linken Knopfauge befestigte sie eine Träne aus böhmischem Glas.
Der Effekt war umwerfend. Der Erste, der sich von der Kreation begeistert zeigte, war der Briefträger. »Des muaß an erst einfallen«, seufzte er entzückt und bejammerte die Josefstadt, die in Zukunft ohne die Ideen der Frau Lenz würde auskommen müssen. Nachdem er seine Runde gedreht hatte, wusste der halbe Bezirk, dass es ein absolutes Muss sei, die Abschiedsauslage von »Altes Spielzeug« gesehen zu haben. Der Iraker kam und ging und kam abends mit seinen Sprösslingen wieder, um ihnen den weinenden Bären zu zeigen. Die Angestellten der Bäckerei lösten einander im Schauen ab, der Apotheker sah vorbei, sogar die Gemüsehändlerin aus der Langegasse ließ es sich nicht nehmen, in der Mittagspause einen Blick auf August zu werfen.
Am Tag darauf tauchte Julius Hofeneder auf. Kopfschüttelnd hatte er den weinenden August betrachtet, ehe er den Laden betrat. Er könne es nicht fassen, dass Amelie tatsächlich schließen werde, wiederholte er mehrfach und ließ sich auf dem Besucherstuhl nieder. Was sie für ihn tun könne, fragte Amelie höflich. Nichts, zumindest nichts auf dem Zinnsoldaten-Sektor, er sei bloß vorbeigekommen, um ihr liebes Gesicht wieder einmal zu sehen, gab der Wirkliche zu.
Gegen seine Gewohnheit war er schweigsam und verfolgte sie mit trübsinnigem Blick. Amelie war dabei gewesen, die Ware für den Ausverkauf auszuzeichnen und wusste nicht, was sie mit ihm anfangen sollte. ›Ich hab alle Hände voll zu tun, und der Mensch sitzt da und will unterhalten werden…eine Zumutung‹, fand sie und sagte, um die Stille zu durchbrechen: »Tja, wir haben uns lange nicht gesehen.«
Hofeneder nickte. »Es scheint, mein Freund Bartenberg hat mich bei Ihnen ausgestochen«, scherzte er matt.
»Aber Herr Hofrat, wegen dieses Abendessens? Das ist doch nicht ihr Ernst«, wehrte sie ab.
»Wie ich hörte, haben Sie allseits großen Eindruck gemacht.« Kaum war von Bartenbergs die Rede, wurde der Wirkliche munter. »Besonders auf Daniel«, lächelte er neckisch.
Daniel…Die ideale Gelegenheit, mehr über ein Thema zu erfahren, das Amelie seit achtundvierzig Stunden beschäftigte. War der frisch geschiedene Bartenberg ein Beziehungsgeschädigter, oder war er schon wieder verbandelt? War er ein treuer Liebhaber oder ein Weiberheld?
»Ein interessanter Mensch, dieser Neffe«, bemerkte sie zunächst obenhin, um gleich darauf nachzuhaken. »Leidet er eigentlich sehr unter der Trennung von seiner Frau?«
»Aber nicht im Geringsten!«, schmetterte der Hofrat heraus. Er richtete sich auf, holte tief Atem und stürzte sich lustvoll in einen seiner Bartenberg-Monologe: Die Ehe habe ja seit Jahren nur mehr auf dem Papier bestanden. Beide Partner seien ihre eigenen Wege gegangen. Daniel habe mehrere große Affären gehabt, hätte sich jedoch nie von seiner Frau scheiden lassen – zu vornehm! –, es sei Penelope gewesen, die auf die Scheidung bestanden habe, sobald sie einen gefunden hatte, der ihr in die Karriere passte. »Eine Frau ohne Herzensbildung. Ganz anders als Carla.«
»Carla?« »Eine wunderschöne Mailänderin.« Hofeneder verdrehte verzückt die Augen. »Daniels große Leidenschaft, wahrscheinlich sogar Liebe.«
Carla also, da schau her…Obwohl Amelie Indiskretionen auf den Tod nicht leiden konnte, ließ sie den Hofrat weiterschwätzen: Carlas
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