Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
Bartenberg kannte sich gut genug in ihrem Gesicht aus, um das zu wissen.
»Es ist an meiner Frau gescheitert. Ihr war Wien nicht kosmopolitisch genug. Und sie fand die Welt der Bartenbergs beengend. Sie mokierte sich über das Händeküssen und die Galanterien meines Onkels und seiner Freunde. Hoffnungslos gestrig nannte sie das. Obwohl ich überzeugt bin, dass es ihr gefallen hat. Aber da sie einem frauenemanzipatorischen Lebenskonzept das Wort redet, konnte sie es ums Verrecken nicht zugeben.«
Amelies Blick glitt von seinem Mund über seine abenteuerliche Nase zu seinen Augen. Sie wartete darauf, dass sie zu lachen beginnen würden. Als es geschah, seufzte sie zufrieden.
Nach dem Besuch im Bräunerhof sahen sie sich fast täglich. Wieso eigentlich, fragte sich Amelie zuweilen, um sich achselzuckend zu versichern, es sei halt ›irgendwie eingerissen‹. Im Übrigen trafen sie sich meistens zu Mittag, manchmal am späteren Nachmittag, aber niemals am Abend. Daniel schien es gar nicht in den Sinn zu kommen, dass er auch abends mit ihr ausgehen könnte. Wie versprochen, führte er sie eines Mittags ins Restaurant Schwarzes Kameel . Er zeigte ihr allerlei kleine Beiseln, die Amelie nicht kannte. Nachmittags trafen sie sich meistens im Bräunerhof . Als Amelie einmal anmerkte, dass es sichtlich sein Lieblingscafé sei, meinte er schmunzelnd, er halte es mit Thomas Bernhard.
»Bekanntermaßen hat er das Bräunerhof jahrzehntelang frequentiert. Dennoch schreibt er in einem seiner Bücher, wenn ich mich recht erinnere in Wittgensteins Neffe , dass er das Wiener Kaffeehaus hasse, weil darin alles gegen ihn sei. Im Bräunerhof , das immer ganz gegen ihn gewesen sei, fühle er sich hingegen wie zu Hause.«
Amelie sah ihn an, sein Gesicht war ihr vertraut wie das eines Freundes. »Aber Sie sind nicht wie Bernhard, in keiner Weise!« Sie kicherte, ehe sie fortfuhr. »Erstens sind Sie kein Genie. Zweitens sehen Sie aus wie das Leben. Und drittens: Sie sind überhaupt nicht verkorkst.«
Sie blieben fast nie länger beisammen als eine Stunde. Aber es waren kurzweilige Stunden. Sie waren nie um ein Gespräch verlegen. Wenn sie sich trennten, fühlte Amelie stets ein leises Bedauern, das in Vorfreude umschlug, sobald Daniel fragte: »Und? Wann sehe ich Sie wieder?«
Am ersten Dezember bat er sie in die Blaue Bar des Hotel Sacher zu kommen. Achtzehn Uhr, hatte er gesagt. Zu früh, als dass es ein Abendessen bedeuten konnte. Amelie schloss den Laden knapp vor sechs, zum Umziehen blieb ihr keine Zeit. Sie lief durch die Stadt. Als sie die Bar betrat, schimmerten ihre Wangen rosig, und ihre Augen strahlten. Sie hätte schwören können, dass seine Augen einen zärtlichen Glanz annahmen, als sie auf ihn zuging.
Er war eleganter angezogen als gewöhnlich. Nadelstreifen, seidenes Hemd, gewagte aber schicke Krawatte. Seine schwarzen Schuhe sahen handgefertigt aus und glänzten wie die seines Onkels.
Er habe nur wenig Zeit, ein kurzer Drink, dann müsse er zu einem Abendessen mit geschäftlichem Hintergrund. Amelie schluckte. Die zärtlich glänzenden Augen waren offenbar eine Sinnestäuschung gewesen.
»Ein Drink ist gar nicht notwendig, ich trinke ohnehin nicht gern, ich gehe lieber gleich. Ein Abendspaziergang tut mir gut.« Sie hatte gehofft, ihre Ansage würde locker rüberkommen, leider klang sie patzig. Ob er merkte, dass sie gekränkt war?
Falls er es merkte, ließ er es nicht erkennen. »Bitte setzen Sie sich«, sagte er gelassen. Als sie stur stehen blieb, fasste er ihren Arm und drückte sie energisch in einen Stuhl. »Wenigstens eine Viertelstunde.«
»Wozu?« Es hörte sich zittrig an, fast so, als würde sie jeden Augenblick zu heulen beginnen.
»Weil ich Sie vor meiner Abreise hören und sehen möchte.«
Das überraschte Amelie. Misstrauisch sah sie zu ihm auf. Unterdrückte Daniel Bartenberg etwa ein Lachen?
»Ach, Sie verreisen.« Es war ihr gelungen, das ›Ach‹ zu dehnen, als kommentiere sie eine Nebensächlichkeit. Im nächsten Augenblick verpatzte sie den Eindruck, indem sie besorgt herausplatzte: »Für lange?«
Er hatte ihr gegenüber Platz genommen. Sein mächtiger Körper füllte den zierlichen Fauteuil völlig aus. Amelie schien es, als beobachte er sie genau, während er sprach. Zehn Tage würde er wegbleiben. Paris und Straßburg, wichtige Klienten…Er bemühte sich, ein Gespräch in Gang zu bringen, aber Amelie blieb einsilbig. Zehn Minuten, nachdem sie gekommen war, stand sie plötzlich auf,
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