Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
wieder auf der terra firma der Geschäftsfrau zu stehen. Als sie die Rechnung für Bartenberg schrieb, tat sie es mit ruhiger Hand, obwohl der Betrag in etwa so hoch war wie ein Monatsumsatz in den besten Zeiten. Er bat sie, die Sachen für ihn einzupacken und ihm zustellen zu lassen. Sie nickte, sagte »gerne« und erwartete, dass er sich verabschieden würde.
»So, und nachdem wir beide so geschuftet haben, sollten wir mitsammen Mittag essen«, sagte Bartenberg entschieden, als stände eine Widerrede außer Frage. Darauf war Amelie nicht gefasst gewesen.
Im Hinblick auf seinen üppigen Einkauf fand Amelie es unangebracht, seinen Vorschlag rundweg abzulehnen. »Ich kann nicht einfach zusperren«, versuchte sie sich herauszuwinden.
»Doch, das können Sie. Das tun Sie immer wieder, ich bin schon einige Male vor der verschlossenen Tür Ihres Geschäftes gestanden. Wo ist Ihr Mantel?«, wollte er wissen.
Das Wetter war trocken und windstill. Sie gingen zu Fuß Richtung Stadt. Als sie den Ring überquerten, schob Bartenberg seinen Arm unter den ihren. Eine beschützende Geste. Sein Arm blieb, wo er war, auch als sie durch den Volksgarten gingen, wo es des Schutzes nicht mehr bedurft hätte. Amelie war sich seiner körperlichen Nähe bewusst. Nicht unangenehm, dachte sie und unterdrückte ein Schmunzeln.
»Wohin gehen wir?«, fragte sie, als sie den Park verließen. Vor ihnen lag das Bundeskanzleramt. Genau an dieser Stelle war sie in Gregor gelaufen…
»Ins Schwarze Kameel «, antwortete Bartenberg. »Ich habe nicht reserviert, wenn wir im Restaurant keinen Tisch kriegen, müssen wir uns mit dem Stehbüfett begnügen.«
Sie bekamen keinen Tisch. Die Stehtheke war überfüllt wie jeden Mittag. Hier schien jeder jeden zu kennen. Menschen, die durchwegs den Eindruck sorgenfreier Müßiggänger machten, standen dicht gedrängt an hohen Tischchen, aßen die stadtbekannt guten Brötchen und tranken achtelweise teuren Wein. Mühelos schlug Bartenberg eine Schneise durch die Menge, er hielt Amelies Hand und zog sie hinter sich her, bis sie geborgen in einem Winkel stand. Sie sah ihm nach, wie er zum Büfett ging. Die alte Frau hinter der Theke schien ihn zu kennen. Sie strahlte ihn an, er sagte irgendetwas, sie kicherte und bediente ihn ohne Skrupel vor den anderen Wartenden. Mit zwei beladenen Tellern kehrte er wieder.
»Ich hoffe Sie mögen, was ich Ihnen ausgesucht habe. Nehmen Sie Rotwein oder Weißwein?«
»Danke, gar keinen Wein.«
»Weißen«, entschied Bartenberg und nannte dem Kellner eine Marke. Als die Gläser vor ihnen standen, hob er das seine und betrachtete Amelie mit einem genüsslichen Lächeln. »Sie wollten gar nicht mit mir essen, stimmt’s? Zum Glück wussten Sie nicht, wie Sie mich loswerden sollten. Auf Ihr Wohl, Amelie.«
Amelie war noch nie zuvor im Schwarzen Kameel gewesen. Neugierig sah sie sich um. Ihr gefiel das Gewölbe, in dem sich über Spezereienverkauf, Büfett, die Schänke und die hohen Stehtischchen Rauchschwaden legten, in dem Stimmengewirr, Gedränge und Hitze eine Atmosphäre der Daseinsfreude erzeugten. Sie deutete auf die Türe, vor der ein eindrucksvoller Kellner mit buschigem Schnurrbart und der Haltung eines Mannes von Welt ein paar Gäste begrüßte.
»Da hinten ist das Restaurant, gelt? Es soll reinster Jugendstil sein.«
Bartenberg nickte. »Wenn Sie mir eine zweite Chance geben, führe ich Sie nächste Woche hin.« Er betrachtete ihr Gesicht, aus dem sich ihr Vergnügen am Augenblick lesen ließ, folgte ihren Augen, die neue Eindrücke lustvoll aufzunehmen schienen, beobachtete, wie sie in ein Brötchen biss und mit der Zungenspitze einen Brösel einholte, der an ihrer Oberlippe klebte. »Mit dem Restaurant verbinden sich meine hedonistischsten Kindheitserinnerungen«, fuhr er fort.
Sofort wandte Amelie ihre Aufmerksamkeit Bartenberg zu. »Erzählen Sie«, bat sie, stützte einen Arm auf das Tischchen, ihr Kinn in die Hand und sah ihn erwartungsvoll an.
Seine Eltern seien oft ins Schwarze Kameel gegangen, vorzugsweise an Samstagen zu Mittag, wovon er als Schüler des nahe gelegenen Schottengymnasiums profitiert habe. Der Stammplatz der Eltern sei die erste Nische rechts gewesen, dort hätten sie ihn erwartet. »Die Schultasche habe ich unter den Sessel gepfeffert, die Speisekarte lag schon auf dem Tisch, ich durfte selbst wählen. Für einen verfressenen Buben von zehn, zwölf, vierzehn ist das der Himmel auf Erden.«
Amelie mochte seine Art zu erzählen, sie
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