Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
saßen, kam Josef Lenz noch einmal auf Bartenberg zu sprechen. Er sei dem Anwalt einmal begegnet, eine äußerst eindrucksvolle und liebenswürdige Persönlichkeit.
»Eine Zinnfiguren-Connection?«, fragte Amelie interessiert.
»Nein. Bartenberg ist nicht der Typ des Sammlers, jedenfalls nicht von Zinnsoldaten.« Es liege schon ein paar Jahre zurück, da habe der Hofrat ihn aufgefordert, zum Todestag Radetzkys mit auf den Heldenberg zu kommen. Und Bartenberg sei mit von der Partie gewesen.
»Huh«, machte Amelie, und wie immer, wenn sie etwas stutzig machte, bewegten sich ihre dichten, starken Augenbrauen wie Vogelschwingen auf und nieder. »Heldenberg. Klingt nach Eichenlaub und Schaftstiefel.«
»Da liegst du falsch, mein Kind«, korrigierte der Vater sie lächelnd. »Der Heldenberg ist eine Art Ruhmesstätte, die von einem Freund und Verehrer Radetzkys, einem Heereslieferanten namens Pargfrieder, Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet wurde. Ein eher scheußliches Mausoleum in der Nähe von Wien. Radetzky hat diesem Pargfrieder auf dessen Bitte seinen Leichnam auf den Todesfall quasi vermacht.«
»Ich glaub es nicht!« Amelie lachte hingerissen. Sie liebte es, wenn ihr Vater ihr historische Schnurren erzählte, und Josef Lenz fand Freude am Erzählen, weil Amelie eine dankbare Zuhörerin war.
»Du musst dir das vorstellen: Der Kaiser wollte Radetzky in der Kapuzinergruft bestatten lassen, wo sonst nur Mitglieder des Erzhauses liegen dürfen. Aber Pargfrieder hatte die erste Hand auf den Feldmarschall. Also liegt der arme Teufel jetzt in dieser kitschigen Grabstätte in einem Ort namens Kleinwetzdorf begraben.«
Das Innenstadtbeisl, in dem Vater und Tochter saßen, war uralt und berühmt für seine Wiener Küche. Josef Lenz, ein Liebhaber derselben, war der Ansicht, dass es nirgendwo besseres Kalbsbeuschl gab als gerade hier. Amelie wiederum mochte das Lokal des hölzernen Drachens wegen, der hechelnd auf einer Wandkonsole lauerte und dessen Augen rot aufleuchteten, sobald man an der Schnur zog, die von der Konsole herunterhing. Versonnen sah sie zu dem Drachen hinüber, während sie darüber nachdachte, weshalb ihr das Gesicht des Leopold Bartenberg noch immer ganz deutlich vor Augen stand. »Und dieser Bartenberg«, fragte sie den Vater, »ist der auch so ein Radetzky-Freak wie der Wirkliche Hofrat?«
»Scheint so«, meinte Lenz, »wenngleich aus anderen Motiven.« Er habe den Eindruck gewonnen, dass der Anwalt ein hervorragender Historiker sei, der die österreichische Geschichte nicht nur aus dem Effeff beherrsche, sondern sich mit ihr irgendwie eins fühle.
»Ein viel umfassenderer Intellekt als Hofeneder, der Bartenberg.« Er schwieg, plötzlich schien ihm etwas einzufallen, das ihn erheiterte. »Übrigens…«, er lachte seine Tochter an, »dem Hofeneder gefällst du, er flirtet mit dir.«
Amelie zuckte die Achseln. »Jaja, ich weiß, ich bin ein altmodischer Typ, auf mich fliegen nur alte Herren.« Es klang ein wenig bitter.
Josef Lenz hob aufmerksam den Kopf. »Wie geht es Hermann?«, fragte er scheinbar übergangslos.
Amelie wedelte mit beiden Händen vor ihrem Gesicht, als wollte sie eine Fliege verscheuchen. »Gut. Glaub ich wenigstens«, sagte sie etwas spitz und dann, wieder ganz sachlich, »wir hatten gestern Streit.«
Josef Lenz fragte nicht, warum. Er wartete bis Amelie sprechen würde. Und sie sprach: »Es gab eigentlich keinen Anlass. Irgendwie hat es angefangen… wahrscheinlich aus einem Unbehagen heraus, das ich nicht begründen kann…es ist noch nicht alt, dieses Unbehagen, ein bisschen mehr als vierundzwanzig Stunden vielleicht…ja genau, so alt ist es. Dabei bin ich gar nicht sicher, ob es mit Hermann zusammenhängt…doch, natürlich hängt es mit ihm zusammen. Weil unsere Beziehung mir so lau, so abgestanden vorkommt, wenn du weißt, was ich meine…«
Amelie brach ab, weil der Kellner das Essen brachte. Trüb starrte sie auf ihren Teller Specklinsen, während Josef Lenz sich mit bedächtiger Lust an sein Beuschl machte. »Ich mag Hermann«, sagte er nach einigen Bissen. »Er ist ein anständiger Mensch und ein kluger Kopf.« Amelie schwieg, gelassen aß Lenz weiter. Nach einer Weile unterbrach er sein Mahl, um seine Überlegungen fortzuführen. »Neun Jahre seid ihr jetzt zusammen. Eine lange Zeit. Wolltet ihr nicht heiraten?«
Amelie gab keine Antwort. Sie rührte gedankenverloren in den Linsen, versuchte, sich Hermann als Bräutigam vorzustellen, und sah statt seiner die
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