Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
Den Vertrag für die Josefstadt?!« Als Uli breit grinsend nickte, schwang sie sich im Sitz über die Schreibtischplatte und fiel ihm um den Hals.
Seit Monaten war Uli in Verhandlungen mit dem Theater in der Josefstadt für eine Neuinszenierung von Nestroys Lumpazivagabundus gestanden. Amelie wusste, wie viel es Uli bedeutete, einmal ohne Ludwig engagiert zu werden. Glücklich wie ein Kind schnatterte er vor sich hin. »Gestern beim Nachhausekommen habe ich die Nachricht vorgefunden, eben komme ich von der Vertragsunterzeichnung. Du weißt ja, Ludwig fährt nächste Woche nach Hamburg, beginnt mit Proben für diese Shakespeare-Collage. Da habe ich Zeit für mein Projekt. Und für dich, mein Liebling! Ich sage dir: Während der Proben wird hier bei dir Lager eins errichtet. Vielleicht sollten wir einen Eiskasten für den Proviant anschaffen, denn deine Art der asketischen Ernährung halte ich auf die Dauer nicht aus.«
Sie lachten und blödelten und tranken den Sekt aus den Fläschchen. Als Uli schließlich ging, war es Mittag und Amelie leicht beschwipst. Hermann, erinnerte sie sich und stakste zum Schreibtisch, um ihn endlich anzurufen. Und just da ging das Telefon. »Hermann himself «, sagte sie laut. Aber es war nicht Hermann, sondern ihre Mutter.
»Servus, Herzerl, ich hab dich gestern nicht mehr zurückgerufen, du weißt schon, erst die Suppen und dann der Vater und das Mittagessen, und dann ist der Vater wieder gangen und ich auch, Bridge bei der Ida…«
Wer immer mit Lizzi Lenz telefonierte, musste sich um den Gesprächsstoff keine Sorgen machen, denn er kam sowieso nicht zu Wort. Lizzi hasste Telefonieren. Um die Länge eines Telefonates selbst bestimmen zu können, sprach sie schnell, ohne Punkt und Komma und kam, ohne dem Gesprächspartner die Gelegenheit zu einer Antwort gegeben zu haben, abrupt zum Schluss. »Jaso, was ich eigentlich sagen wollt: Der Vater kommt heut um zwei Uhr in Wien an, du sollst ihn vom Bahnhof abholen, er freut sich schon auf dich, also habt’s es schön, ihr zwei, servus Herzerl, servus, servus.« Weg war sie. Und vor Freude über den angekündigten Besuch des Vaters vergaß Amelie, dass sie Hermann anrufen wollte.
Josef Lenz sah genauso alt aus, wie er war, nämlich sechzig. Er war mittelgroß und schlank und wirkte völlig unsportlich. Letzteres entsprach den Tatsachen, denn seit seinen Kindertagen war er nicht mehr auf Schiern gestanden, niemals hatte er einen Fuß auf einen Tennis oder Golfplatz gesetzt, und ein Fitness-Studio hätte er nicht einmal betreten, wenn man ihn dafür bezahlt hätte. Selbst dem Wandern in der Natur konnte er nicht viel abgewinnen. Wenn schon Spaziergänge, dann durch Altstadtgassen. Josef Lenz las gerne, er liebte Musik und spielte selbst recht gut Geige. Er dachte gerne nach. Wer sich mit Menschen auskannte, sah ihm das an. Seine braunen Augen blickten sanft, und seine helle unverwitterte Stirn, die seiner Halbglatze wegen kein Ende zu nehmen schien, ließ ihn verletzlicher erscheinen, als er war. In der Tat sagte man dem Lenz im Geschäftsleben nicht nur Kompetenz, sondern auch beinerne Härte nach. In der Innung genoss er größten Respekt, man wusste es zu schätzen, dass er zwar den persönlichen Vorteil nicht aus den Augen verlor, niemals jedoch um den Preis seiner Ehre und seiner Selbstachtung. Ein Geschäftsmann vom alten Schlag, hieß es von ihm.
Wiewohl politisch ein Konservativer, war Lenz seiner Veranlagung nach liberal. Ein Wesenszug, der sich auch auf die Erziehung seines einzigen Kindes ausgewirkt hatte. Seit sie denken konnte, war Amelie von ihrem Vater als eigenständige Persönlichkeit mit dem Grundrecht auf Selbstbestimmung behandelt worden. Tendenziell lag auch die Mutter auf seiner Linie. Aber das Verhalten des Vaters wurde zusätzlich noch durch ein tiefes Verständnis für Amelies Wesen bestimmt.
Der Zug, mit dem Josef Lenz am Wiener Westbahnhof ankam, hatte kaum Verspätung. Er war voll gewesen, die Masse der Passagiere quoll aus ihm heraus und wälzte sich auf die wartende Amelie zu. Sie nahm den Vater schon von weitem aus, unter all den Hastenden ging er als Einziger gemessen dahin. Ebenso gemessen ging Amelie ihm entgegen. Vater und Tochter liefen nie aufeinander zu, denn im Gegensatz zur quirligen Mutter Lizzi war Unaufgeregtsein ihnen beiden ein Anliegen. Aber ihre Augen trafen sich lächelnd und froh, lange ehe sie einander umarmten.
»Was machst du in Wien, Vater«, wollte Amelie wissen. Von klein auf hatte
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