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Amelie und die Liebe unterm Regenschirm

Amelie und die Liebe unterm Regenschirm

Titel: Amelie und die Liebe unterm Regenschirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Molden
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angesprochen wurde, sagte sie immer das Gleiche. »Die Gesichter von Menschen, die ich liebe, habe ich im Kopf, die brauch ich mir nicht auf Fotos anzusehen. Und die mir wurscht sind, brauchen mich erst recht nicht vom Bild anzuglotzen.«
    Sie starrte in das Gesicht der Verstorbenen, deren Namen sie trug.
    Amelie Diedrichs, geborene Schouten, aus einer flämischen Familie stammend, hatte an den Niederrhein geheiratet und war später mit Mann und Tochter Lizzi nach München gezogen, wo Lizzi dem Josef Lenz begegnet war. Nachdem Amelie die Ältere verwitwet war, zog sie zu Lenzens nach Salzburg. Josef hatte den Witz seiner Schwiegermutter gemocht, aber ihre Schnatterhaftigkeit war ihm auf die Nerven gefallen. Lizzi Lenz hatte das Problem für sich gelöst, indem sie gleichzeitig mit ihrer Mutter sprach, wobei die beiden Damen für gewöhnlich aneinander vorbeiredeten. Atonale Duette hatte Josef diese Art von Kommunikation genannt. Die kleine Amelie hingegen fand die alte Amelie vorbehaltlos wunderbar. Kein anderes Kind hatte eine Großmutter wie diese. Außerdem hieß es, dass sie ihr ähnlich sehe.
    Mit untergeschlagenen Beinen hockte Amelie in einem ihrer weiten Mummus auf einem harten Thonetstuhl. Sie sei gelenkig wie eine Zirkusartistin, fand Hermann. In zärtlichen Stunden hatte er sich dann und wann sogar dazu verstiegen, sie sein Gummipüppchen zu nennen.
    »Warum bist du ausgerechnet jetzt tot«, sagte Amelie und starrte die porträtierte Großmutter vorwurfsvoll an. Das üppige dunkle Haar im Stil der späten Vierzigerjahre aufgesteckt, darauf thronte ein mit einem Schleier garniertes, schrägsitzendes Hütchen. Ein Pelzkragen um schmale Schultern. Der Kopf auf dem langen, graziösen Hals halb zum Beschauer gedreht. Starke Augenbrauen, riesige Augen, ein bloß andeutungsweise ironisches Lächeln um den geschwungenen Mund. Ein elegantes Gesicht, fand Amelie. »Ich würde dich jetzt dringend brauchen«, fuhr sie laut fort. »Du hast immer etwas für Veränderungen übrig gehabt.« Schweigend lächelte die Erblasserin des flämischen Prachtschranks und einiger schöner alter Schmuckstücke ihrer einzigen Enkelin zu. »Was meinst du, soll ich Hermann abtreiben?«
    Leicht beschämt ob der Metapher nahm sie das Foto und legte es in die Schachtel zurück. »Amelie Lenz, keine Sau nimmt dir die Entscheidung ab«, seufzte sie und sah dem Räucherstäbchen zu, wie es herunterbrannte. Dann war plötzlich diese Unrast wieder da. ›Kommt anfallsartig‹, dachte Amelie, ›nur nicht aufkommen lassen. Uli anrufen, Kino gehen.‹ Aber Uli und Ludwig hatten den Anrufbeantworter eingeschaltet. ›Eh klar: ein dunkler Nachmittag im Spätherbst, kluge Lover kuscheln jetzt im Bett.‹ Amelie trat ans Fenster. Zwischen Salettl und Efeuwand waberten Herbstnebel. ›Die Zadrazil hat Recht. Das Wetter wird anders. Wenigstens irgendwas Neues.‹ Und als sie etwas später erste Regentropfen gegen die Scheiben schlagen hörte, entspannte sie sich, als hätte sich ihr Problem von selbst gelöst.
    Am Tag darauf gingen Amelie und Uli dann doch ins Kino. Diesmal war es Uli, der Ablenkung brauchte. Ludwig sei wieder nach Hamburg abgereist, ein schrecklicher Herbst mit ewigem Hin und Her liege vor ihnen, er brauche Amelies Mitgefühl, und er brauche Kintopp, jammerte er ins Telefon.
    »Uli, mein Hähnchen, alles wird gut, wonach steht dir der Sinn: Tragödie? Komödie? Edles oder Schund? Neues oder Altes?«, fragte Amelie aufgekratzt. Sie kannte Ulis Vorliebe für alte Filme.
    Einen Klassiker wollte Uli. Die Auswahl war zur Zeit nicht groß, sie mussten sich zwischen Der große Gatsby, Der Dritte Mann und Ein Fisch namens Wanda entscheiden. Sie entschlossen sich zu Letzterem und trafen sich zur Abendvorstellung in einem für Reprisen bekannten verstaubten Vorstadtkino. Tief ließen sie sich in die knarrenden Plüschsessel sinken, Amelie knabberte Popcorn, Uli zerbiss Rumkugel auf Rumkugel und raschelte dabei mit dem Säckchen, was keinen Anstoß erregte, weil außer ihnen beiden nur noch vier andere Besucher im Saal saßen. Offenbar hatten auch sie den Film bereits gesehen, weil sie schon lachten, ehe eine Pointe fiel.
    »Lachen tut gut, ich bin getröstet«, sagte Uli, als sie das Kino verließen. Es regnete sacht, Amelie streckte ihre Arme dem Regen entgegen. »Und dir geht’s scheint’s auch besser«, stellte Uli fest, Amelie nickte. »Eh klar, weil der Cherusker in der Ferne weilt. Kaum ist er runter von der Bühne, wirst du wieder dein

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