Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
schwere Gestalt des Hinkenden im Bundeskanzleramt verschwinden.
»Verzeih, Vater, ich war in Gedanken, was hast du eben gesagt?«
Lenz suchte Amelies Augen. »Irgendetwas scheint sich zwischen euch zu spießen. Das kommt vor und ist bei gutem Willen reparabel.« Als Amelie wieder nicht antwortete, fuhr er energisch fort. »Wenn dem nicht so ist, scheint mir ein Ende mit Schrecken besser als ein Schrecken ohne Ende.«
Amelie machte einen hilflosen Eindruck und schwieg weiter. Worauf Josef Lenz noch etwas nachdrücklicher wurde. »Auf jeden Fall sollte Klarheit zwischen euch herrschen. Wenn du dich von Hermann lösen willst, tue es, aber tue es rasch und mit Anstand. Er hat Ehrlichkeit verdient.«
Amelie wich dem Blick des Vater aus. Sie presste die Hände an die Schläfen, kniff die Augen zu und sagte mit gequälter Stimme, die leicht theatralisch klang: »Lösen sagst du, von Hermann lösen… Will ich das? Ich weiß es ja selbst nicht genau.«
»Dann sieh zu, dass du es weißt«, antwortete Josef Lenz, und diesmal war sein Ton an Bestimmtheit nicht zu übertreffen.
Noch am selben Abend rief sie Hermann an. »Es ist schon spät«, sagte er vorwurfsvoll.
»Ich weiß, Hermann, verzeih, ich wollte nicht noch einmal über unseren Streit schlafen. Ich wollte mich für gestern Abend entschuldigen, es war meine Schuld, ich war überdreht.« Er machte es ihr nicht leicht. Er schwieg. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als fortzufahren. »Ich finde, wir sollten uns möglichst bald sehen und uns aussprechen.«
»Soll mir recht sein.« Es klang kühl. »Wann und wo?«
»Schlag etwas vor.«
»Morgen Abend, neunzehn Uhr, bei mir?«
Eine Unterredung auf neutralem Boden wäre Amelie lieber gewesen. Andererseits wollte sie nicht pingelig erscheinen, also stimmte sie zu. »Soll ich am Weg etwas zum Abendessen einkaufen«, fragte sie und hörte mit Bedauern, dass er das übernehmen wollte.
Hermann wohnte in jenem Teil des 17. Wiener Gemeindebezirks, der sich im Wienerwald verlor. Am Weg zur Straßenbahn kaufte Amelie beim Iraker ein paar zerzauste Astern. Besseres habe er nicht mehr, »dafür halber Preis für schöne Frau«, sagte der Blumenhändler mit schimmerndem Blick. In der Tram ergatterte sie einen Fensterplatz. ›Ich liebe die Unbeirrbarkeit von Schienenfahrzeugen‹, dachte Amelie während des Dahinratterns und freute sich am eigenen Einfall.
Die Gasse, in der Hermann wohnte, war auf beiden Seiten baumbestanden und dementsprechend düster. Er hatte die untere Etage einer kleinen Villa gemietet. Keine Gartenbenützung. Und weil ebenerdig, feucht. Außerdem hatte er es zustande gebracht, bei IKEA, einem Unternehmen, das für seine hellen Holzmöbel berühmt wurde, ausschließlich dunkles Mobiliar zu erwerben.
Er hatte den Tisch im Wohnzimmer gedeckt. Es gab kalte Platte. Kümmelbraten, Ripperl, Blutwurstscheibchen, Schmalz und scharfen Senf. Hermann liebte die Wiener Heurigenkost, Amelie nahm kaum davon, sie konnte Fettes nicht ausstehen. »Wir sollten über uns reden, Hermann«, startete sie durch.
Aber Hermann winkte ab. Er genoss das schwere Essen und war glücklich, dass seine zarte, weiße Amelie vor ihm saß wie eh und je. »Lass nur, Schatzi, du hast dich entschuldigt, alles ist wieder gut.«
Aufs Neue versuchte Amelie, dem Gespräch einen Drall in die beabsichtigte Richtung zu geben. »Ich meine, wir sollten über unsere Zukunft reden. Wie es mit uns beiden weitergehen soll. Doch nicht ewig so: du hier, ich dort, zusammen und doch wieder nicht…«
Da wischte sich Hermann das Fett vom Mund, sprang lachend auf und entschwand mit einem triumphierenden »Warte ab! Überraschung!« in seinem Arbeitszimmer. Als er wiederkehrte, hielt er einen Brief in der Hand. »Bitte sehr, ein Schreiben vom Verlag Kurz & Wagner aus München. Sie haben das bisher vorliegende Manuskript meines Romans gelesen und mir einen Vertrag angeboten. Noch zwei Kapitel, dann bin ich fertig, dann werden wir heiraten, Schatzi, und wenn du möchtest, unverzüglich Nachwuchs produzieren.«
Nichts lief so, wie Amelie es geplant hatte. Sie brachte es nicht über sich, in Hermanns strahlendes Gesicht von Trennung zu sprechen. Es waren ihr plötzlich alle Argumente fürs Schlussmachen abhanden gekommen. Er war doch eigentlich lieb, der Hermann. Und gescheit. Und möglicherweise bald Erfolgsautor. Auch der Vater hatte gesagt, dass er Hermann schätze. Und schließlich verband sie eine jahrelange Beziehung, nach so vielen Jahren glich eine
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