Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
Trennung ja fast einer Scheidung. »Komm ins Bett«, hörte sie Hermann sagen. Und die Macht der Gewohnheit siegte.
»Hier grabelt’s«, murmelte Amelie, als sie das Schlafzimmer betrat. Sie sagte es jedes Mal, wenn sie hier eintrat, seit dem Tag, da sie zum ersten Mal hier geschlafen hatte. Hermann hatte sie erst erklären müssen, dass man in Wien unter »grabeln« modrig riechen versteht. Mit Widerwillen betrachtete sie Hermanns breite Bettstatt, die er Lotterbett nannte und von der Amelie wusste, dass sie bei Gebrauch höllisch quietschte. Sehnsuchtsvoll dachte sie an ihren Hängeboden während sie aus den Kleidern schlüpfte und zwischen die klammen Laken kroch. Ohne jede Erregung, eher mit klinischem Interesse betrachtete sie den nackten Hermann, der aus dem Bad kam und sich ihr siegesgewiss näherte. ›Nein, fett ist er nicht, er ist bloß fest. Gute lange Beine, annehmbare Hüften, eigentlich ein fescher Mann.‹ Sie fragte sich, weshalb die im Werden begriffene Erektion ihres Liebhabers sie kalt ließ. ›Er brauchte mich nur ansehen, der Rest ergibt sich von selbst‹, dachte sie freudlos. Als Hermann sich unter unwirschen Lauten des Lotterbetts neben sie legte und sie an sich zog, seufzte sie gottergeben. Sein Vorspiel war bemüht – ›wahrscheinlich hat er sich einen Ratgeber gekauft‹ –, auch das dachte Amelie immer wieder – aber nicht wirklich erfolgreich. Um es abzukürzen, simulierte Amelie Erregung. Desgleichen, als er sie bestieg. Nur keine Diskussionen über nicht stattgefundene Orgasmen. Das Lotterbett quietschte immer rhythmischer und heftiger, um bald darauf zu verstummen. »Halleluja«, wisperte Amelie, weil es vorüber war.
Am nächsten Morgen brachte Hermann sie im Auto nach Hause. Sie war blass, hatte dunkle Augenringe und zwei winzige Fältchen um den Mund. Er sah frisch und rosig aus und war aufgekratzt. »Schatzi, vor lauter Liebe habe ich vergessen, dir zu sagen, dass ich an Allerheiligen zu meinen Eltern fahren werde. Daran schließe ich eine Besuchstour durch norddeutsche Bibliotheken an. Und auf dem Rückweg mache ich in München Station. Autorengespräche, du verstehst.«
Er lachte stolz. ›Ja richtig, Allerheiligen steht vor der Tür‹, dachte Amelie und nahm emotionslos zur Kenntnis, dass ihr Liebhaber etwa zwei Wochen von ihr fern sein würde. Ebenso emotionslos ließ sie seinen feuchten Abschiedskuss über sich ergehen. Letzteres bereits unter dem wachsamen Blick der Frau Pepi, die in der Hauseinfahrt stand und das Paar unverhohlen beobachtete.
»Weg is’ er«, sagte sie zufrieden, als Hermanns Auto um die Ecke verschwand. Sich auf ein längeres Gespräch einrichtend, wandte sie sich an Amelie. »Weans seg’n, Fräul’n Lenz, z’Ollaheilign kriag ma an ondas Weda. Mei Ischias…«, verkündete sie düster und griff sich an die Hüfte. Aber mit Amelie war heute nicht zu rechnen. »Nicht bös sein, ich hab’s eilig, Frau Pepi«, sagte sie und verschwand im Salettl.
Lange stand sie unter der heißen Dusche und sah dem Wasser zu, das an ihrem schmalen, hübschen Körper hinunterlief. Dann wickelte sie sich in ein großes, weißes Badetuch und patschte mit nassen Füßen vor das Atelierfenster. Draußen war es noch immer warm. Im Efeu an der Feuermauer raschelten die Vögel. ›So wie jetzt war es doch nicht immer, es war doch einmal gut‹, dachte Amelie und versuchte, die Bilder aus der vergangenen Nacht loszuwerden. »Das kann’s doch nicht gewesen sein«, murmelte sie vor sich hin.
Eine Weile stand sie so. Dann ließ sie das Badetuch entschlossen fallen und ging zu ihrem Kleiderschrank. »Es muss anders werden«, sagte sie laut, »und weil’s von selber nicht anders wird, werde ich es ändern.«
4
Allerheiligen und Allerseelen beging Amelie nicht gerne: Pflichtgedenken, Pflichtgebete. Wie Pflichtjubeln und Pflichtschenken am Muttertag. Amelie besuchte Kirchen und Gräber vorzugsweise antizyklisch und schenkte lieber aus heiterem Himmel.
Zu Allerheiligen lümmelte sie daheim in ihrem Leder-Lesestuhl, las Der Meister und Margarita zu Ende und war in erster Linie froh, nicht in Salzburg zu sein, wo sie aus Anstand ja schließlich doch Teil der blumen und kränzebehafteten Völkerwanderung Richtung Friedhof geworden wäre.
Zu Allerseelen indes holte sie plötzlich ein Foto ihrer Großmutter mütterlicherseits aus einer Lade, stellte es auf den Tisch und zündete daneben ein Räucherstäbchen an. In Amelies Wohnung standen keine Fotos herum. Wenn sie darauf
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