Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
von der flüchtigen Begegnung mit einem Unbekannten so erfüllt war, wäre es eine Gemeinheit, Hermann weiter vorzugaukeln, dass er nach wie vor der Mann ihres Lebens sei.
So glatt wie Amelie es sich vorgestellt hatte, lief die Sache freilich nicht. Am Samstag regnete es. Fein, aber beharrlich. Hermann rief an und meinte, er würde sie mit dem Wagen abholen, alles andere sei Unsinn. Angesichts der grauen Feuchtigkeit vor ihrem Fenster war Amelie froh darum und sagte Ja. In Hermanns altem VW Käfer war es angenehm warm. Hermann war gut gelaunt. Er chauffierte mit der linken Hand und hielt mit der rechten Amelies Knie umfasst. Eine alte Gewohnheit. Ausführlich erzählte er von seinem Besuch im Münchner Verlag. »Denk nur, Schatzi, die wollen zehntausend Stück Startauflage drucken«, sagte er und drückte vor Begeisterung Amelies Knie. Hätte sie seine Hand fortschieben sollen? Ausgerechnet jetzt, da er so stolz und zuversichtlich schien? Sie war schließlich kein herzloses Schwein.
Als sie am Lusthaus hielten, regnete es stark. Hermann betrachtete die unwirtliche Natur. »Abscheulich hier draußen. Man sieht ja kaum die Hand vor den Augen. Kein Mensch geht spazieren bei dem Wetter, und auch wir werden uns nicht den Tod holen. Wir gehen ins Restaurant und trinken Kaffee.«
Amelie zuckte die Achseln und folgte Hermann gottergeben ins Lusthaus. Es war ziemlich still, bloß zwei Tische besetzt, man hörte jeden Löffel klappern und jedes Glas klirren. Keine günstige Geräuschkulisse für Geständnisse. Amelie starrte auf den Topfenstrudel, den der Kellner vor den gut unterfütterten, kompakten Hermann hingestellt hatte. Den Stier bei den Hörnern packen, assoziierte sie automatisch und sagte laut: »Ich glaube, wir sollten Schluss machen.«
Hermann führte die Gabel zum Mund, sein Blick war auf den Bissen gerichtet, er nahm ihn auf, kaute, schloss die Augen genussvoll und fragte eher beiläufig: »Was hast du eben gesagt?«
»Wir sollten Schluss machen!«
»Womit?«
»Mit uns.«
Er war nicht bestürzt. Er lachte.
Alles hatte Amelie erwartet, nur das nicht. »Findest du das so witzig?«, sagte sie spitz.
»Nicht witzig, sondern absurd«, antwortete Hermann und schaufelte einen weiteren Bissen Topfenstrudel auf die Gabel. »Ich nehme jedoch an, dass du eine Erklärung folgen lassen wirst.«
Seine Gelassenheit ärgerte Amelie außerordentlich. »Ich warte damit, bis du fertig gegessen hast«, fauchte sie.
Als Hermann den letzten Rest Topfenfülle und die allerletzte Rosine aufgepickt hatte, lehnte er sich zurück und sah sie erwartungsvoll an. »Ich bin so weit«, sagte er ruhig, »du kannst beginnen.« Die erste Runde war eindeutig an Hermann gegangen.
Amelie mühte sich redlich, schlagkräftige Argumente für eine Trennung zu liefern, aber was sie sagte und wie sie es sagte, klang nicht überzeugend. Ihre Beziehung ziehe sich nun schon über Jahre hin, und alles Feuer sei raus. Abgestanden. Schal. Seltsam bindungslos und doch beengend. Darauf lasse sich doch keine gemeinsame Zukunft aufbauen, oder?
Das »oder« war schlecht gewesen. »Doch. Falls kein anderer Mann dahintersteckt«, hakte Hermann rasch ein. Als Amelie heftig den Kopf schüttelte, fuhr er in dem belehrenden Ton, den sie so gar nicht mochte, fort: Sie hätten eine gute gemeinsame Vergangenheit, auf der sich eine sichere gemeinsame Zukunft aufbauen lasse. Man kenne Fehler und Meriten des anderen. Überraschungen seien nicht sehr wahrscheinlich. Freilich, eine gewisse Routine habe sich breit gemacht, dennoch seien sie ein gutes Team. Auch im Bett stimme es, das habe sich bei ihrem letzten Beisammensein wieder eindeutig bewiesen. Und dann schoss er quasi aus der Hüfte noch einmal nach: »Es gibt doch keinen anderen?!«
»Nein, nein, nein«, log Amelie verzagt.
»Bestens.« Er schien befriedigt. »Dann schlage ich zur Beruhigung deines in letzter Zeit etwas labilen Gemütszustandes vor, dass wir Karenz einlegen. Einmal wöchentlich ein Treffen an neutralem Ort. Kein Sex. Sagen wir – drei Monate lang. Danach wird sich zeigen, ob wir einander sehnsüchtig in die Arme fallen oder uns als gute Freunde trennen.«
›Aufgelegter Blödsinn‹, dachte Amelie. Statt es zu sagen, sagte sie gar nichts. Sie sah zu, wie Hermann zahlte, stieg zu ihm ins Auto, ließ sich von ihm nach Hause bringen und zum Abschied flüchtig auf die Wange küssen. Er stieg nicht aus, sie huschte ins Haus, noch ehe er wieder anfuhr. Sie schlich am Fenster der Zadrazil
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