Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
Mitte November aus Salzburg an, um zu fragen, ob sie während ihres bevorstehenden Aufenthalts in der Schweiz ein Geschäft für ihn erledigen könne.
»Ich fahre heuer nicht in die Schweiz, Vater«, antwortete Amelie und wusste im selben Atemzug, dass ihre Stimme betreten geklungen hatte.
»Aus gesundheitlichen Gründen?«, fragte Josef Lenz besorgt.
»Nein, es geht mir gut. Gesundheitlich jedenfalls. Es sind eher praktische Überlegungen…« Sie wartete auf die nächste Frage des Vaters, als die nicht kam, fuhr sie hastig fort. »Weißt du, heutzutage muss man bei den großen Auktionen gar nicht persönlich anwesend sein. Ich fahre heuer weder nach Winterthur zu Kohler noch nach London zu Christie’s…Ich mache das per EMail und Internet…« Josef Lenz schwieg immer noch Amelie wurde zunehmend unsicher. »Das ist zeitgemäßer… und billiger! So ist auch Amerika drin…Du kannst auch telefonisch bieten…Und schließlich gibt’s ja auch noch Sensale…« Sie brach ihr jämmerliches Gestotter ab und wartete wieder.
Es dauerte eine Weile, ehe Josef Lenz mit ruhiger Stimme fragte. »Es ist mir klar, dass dein Geschäft in den letzten Monaten nicht besonders lief. Bist du in finanziellen Schwierigkeiten?«
»Nein Vater, das ist es nicht, es sind eher die Termine hier, die mich blockieren, es ist so viel los, im Dorotheum und so…« Schwach, Amelie, ganz schwach.
Wieder ließ Lenz sich mit seiner Antwort Zeit. Als er sprach, tat er es ohne den Schatten eines Tadels oder des Belehrens. »In deinem Gewerbe sind persönliche Kontakte durch nichts zu ersetzen. Deine Kunden brauchen Amelie Lenz nicht, um einen Sensal zu beauftragen. Und den virtuellen Weg halte ich in einem so sensiblen Geschäft wie dem deinen für den zweitbesten. Falls du deinen Ruf als Agentin nicht aufs Spiel setzen willst, fahre weiterhin zu den großen Auktionen.« Kurze Pause. »Spricht etwas dagegen? Persönliche Gründe?«
Erleichtert schnappte Amelie nach dem Köder. »Naja, Vater, da du es anschneidest…ich habe mit Hermann Schluss gemacht.«
Neuerlich kurze Pause. »Ist das alles?«, fragte Lenz ziemlich kühl.
Die Versuchung, dem Vater von ihrer Suche nach einem nie zur Gänze gesehenen Unbekannten zu erzählen, war groß. Sie widerstand ihr. – Ich kann ihm doch nicht sagen, dass ich mich wie ein Teenager in ein Phantom verliebt habe! – »Ja, das ist alles«, sagte sie patzig.
Als sie vor dem Zubettgehen im »Orient« zwischenlagerte und das Gespräch mit dem Vater überdachte, wurde ihr bewusst, was ihr dabei durch den Kopf geschossen war. In ein Phantom verliebt…
Was heißt verliebt! Ich bin doch nicht verliebt?… Aufgewühlt, fasziniert, gefesselt – ja. Und finden will ich ihn, weil…egal…Aus sportlichem Ehrgeiz vielleicht. Aus Sehnsucht nach etwas Außergewöhnlichem, nicht Alltäglichem. Meschugge genug, das alles. Aber verliebt? In einen Mann ohne Gesicht? Ich bin doch nicht verrückt!
Am nächsten Mittag hängte sie erneut das Schild von … bis an die Tür, schnappte die Rolle mit den gezeichneten Galoschen und begann ihren Rundgang durch die großen Schuhgeschäfte der Inneren Stadt.
»Haben Sie Galoschen?«
»Bedaure…«
»Führen Sie Galoschen?«
»Nein, aber Gummistiefel können Sie haben.«
»Ich suche nach Galoschen.«
»Galoschen – was ist das?« Die junge Verkäuferin im dritten der von Amelie heimgesuchten Geschäfte guckte erstaunt, ging davon und holte die Geschäftsführerin. Eine höfliche Frau vom Fach. Galoschen? Ein Artikel, der heutzutage nicht mehr verlangt werde. Indes, wenn die Dame sich gedulden wolle, könne sie im Lager nachsehen lassen…
Amelie wollte. Sie wartete gespannt. Ein ähnliches Gefühl hatte sie empfunden, als sie zum ersten – und bisher auch letzten – Mal Lotto gespielt hatte, weil ein Jackpot in Millionenhöhe anstand. Mit feuchten Händen war sie vor dem Fernsehapparat gesessen, vor sich den Schein mit ihren Tipps. Vor Aufregung hatte sie sich ihre Unterlippe blutig gebissen, denn immerhin bestand ja die Chance, dass sie den Jackpot knacken würde. Wie ein wild gewordenes Glücksrad drehten sich bildhafte Vorstellungen einer millionenschweren Amelie in ihrem Kopf…Und dann war nicht ein einziger ihrer Tipps richtig gewesen. Das Gefühl enttäuschter Leere, das sie daraufhin empfunden hatte, war dem vergleichbar, das sie beschlich, als die Geschäftsführerin die altersschwache Schachtel öffnete, die sie aus dem Lager geholt hatte. Ein Paar formloser
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