Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
fort. »Hühnchen, wenn du schon sonst an nichts Vernünftiges denken kannst, denk an dein Geschäft. An die Miete für den Laden und fürs Salettl, Putzfrau, Telefon etc. Die Fixkosten müssen rein. Das unbekannte Hinkebein wird sie dir nicht vorschießen. Und auf den Cherusker kannst du finanziell auch nicht zählen. Unter den gegebenen Umständen schon gar nicht.«
»Aber mein Hähnchen, Hermann ist doch gar nicht mehr im Spiel.« Ihr Versuch, Uli von oben herab zu kommen, schlug fehl. Mit erhobenem Zeigefinger wedelte er vor ihrer Nase.
»Ha, meine Liebe, so ist es ganz und gar nicht. Ich habe den Söhnke nämlich getroffen. Er findet dich zur Zeit zwar nervlich zerrüttet, ist aber dennoch finster entschlossen, dich zu ehelichen.« Nach einer Denkpause: »Sagt er.«
Amelie wurde heftig: »Entweder er lügt, oder er macht sich etwas vor. Von Heirat kann nicht die Rede sein, ich habe Schluss gemacht, er will es bloß noch nicht wahrhaben«, schnaubte sie.
Langsam gingen Uli die Argumente aus. »Besser noch der Cherusker als ein Mann ohne Antlitz«, seufzte er kampfesmüde. »Eine reine Kopfgeburt, das. Wenn ich nur wüßte, was dich daran so fesselt.«
Ratlos legte Amelie ihre schmalen Bubenhände auf das rot-weiß-grün gewürfelte Tischtuch und starrte darauf nieder. »Ich wüßte es auch gern, Uli«, zirpte sie. »Ich weiß nur eines: Irgendetwas in mir gehört zu diesem Mann.«
Am nächsten Morgen gab Amelie die erste von insgesamt fünf Annoncen auf. »Suche schwarze Gamaschen, grün eingefasst, vermutlich aus der Zeit der Jahrhundertwende.« Nach längerer Überlegung entschloss sie sich für jene Wiener Tageszeitung, von der sie annahm, dass ihr Phantom sie, falls es der Mann war, für den sie ihn hielt, am ehesten lesen würde. Antwort nicht an den Verlag, nein, sie gab ihre Telefonnummer an. Für den Fall, dass er sich meldete, würde sie seine Stimme wieder hören. Eine Stimme, die sie unter Tausenden wiedererkennen würde. Nicht billig, so eine Annonce, aber lohnend, davon war Amelie im Inneren überzeugt. Auch wenn X die Anzeige nicht selbst las, irgendjemand aus seiner nächsten Umgebung würde sie lesen – Sekretärin, Mutter, Vater, Verwandter, Freund, Putzfrau…Der Gedanke, dass es auch eine Ehefrau sein könnte, kam Amelie zwar kurz, wurde aber, weil irgendwie schmerzlich, umgehend verdrängt.
Gegen Mittag brachte der Briefträger unter anderem ein Paket. An der von Hand geschriebenen Adresse erkannte Amelie, dass der Absender ihre Mutter war. Sie sah zunächst die Briefpost durch. Nichts Erfreuliches – in der Hauptsache Rechnungen – bis auf die elegante Einladung Leopold Bartenbergs zu einem Hauskonzert im Advent. Tolles Kuvert mit passender Karte, handgeschöpftes Büttenpapier, u.A.w.g… »Nobel, nobel«, murmelte Amelie erfreut und lehnte die Karte zu steter Ansicht an den Fuß ihrer Schreibtischlampe.
Dem Inhalt des Pakets hingegen konnte sie nichts abgewinnen. Unter mehreren Lagen himmelblauen und rosaroten Seidenpapiers lag, sauber gewaschen und gebügelt, gebrauchte Babykleidung. Hemdchen, Strampelhosen, Jäckchen, Häubchen, Lätzchen… »Herzerl«, hatte Lizzi Lenz auf die beiliegende Karte geschrieben, »es sind deine alten Sachen, die ich für mein Enkelkind aufgehoben hab. Aber wie’s ausschaut, krieg ich keins. Also habe ich mir gedacht, du kannst alles dem August anziehen, so gibt es für sie wenigstens eine Verwendung.«
Erst schüttelte Amelie verärgert den Kopf, dann musste sie lachen. Sie hob August aus seinem Stühlchen und versuchte, ihm eines der Häubchen aufzusetzen und ihn in ein Jäckchen zu zwängen. Vergebens, der Bär war zu groß. Sie packte die Sachen wieder in die Schachtel und versank in Träumerei. Sah sich selbst ein dickes Baby in einem Kinderwagen schieben. Der Mann an ihrer Seite war groß und sah unglaublich gut aus. Brünett, helle Augen, hartes, schmales Gesicht, lange schlanke Glieder. Herrliche Hände. Chirurgenhände. Und sein Lachen war warm. Und tief. Und unglaublich erotisch.
Das Bild des erdachten Kindesvaters stand fortan für X. Warum es sich derart eingegraben hatte, wusste sie selbst nicht zu sagen. Das Äußere des Brünetten entsprach nicht einmal Amelies Idealbild von einem Mann. Weil sie ein solches nämlich gar nicht hatte.
Manchmal sagte sie sich, dass Uli Recht habe, dass sie dabei war, sich in etwas zu verrennen; dass aus dem Spielerischen ihrer Jagd nach X nun, da er bereits über ein Gesicht verfügte, eine
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