Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
Typ Mensch. Und ob es heute noch jemanden gibt, der so etwas anziehen würde.«
Dem Maßschuhmacher erging’s wie den meisten älteren Herren: Er erlag den violetten Augen der Amelie Lenz und ihrem Charme der geborenen Dame. Nur so war es zu erklären, dass er mit ihr auf der ledernen Besucherbank Platz nahm und ihr zuliebe einen Exkurs über Gamaschen hielt. Dass man sich darunter eine Art Überstrumpf ohne Füßling vorstellen müsse, der mit Hilfe eines unter der Schuhsohle geführten Stegs am Schuh festgehalten werde. Dass Friedrich Wilhelm I. die Gamasche im 18. Jahrhundert bei der preußischen Infanterie eingeführt habe. Dass Gamaschen zunächst vorwiegend zum Gebrauch durch Lakaien, Kutscher, Jagdpersonal etc., etc. bestimmt gewesen seien. Dass sie im 19. Jahrhundert aber auch vom eleganten Herrn zum Schutz glänzender Schuhe beziehungsweise als Modegag getragen wurden. Ihm selbst sei ein einziger Mensch bekannt, der regelmäßig Gamaschen getragen habe – der äußerst elegante Direktor einer Bar…
»Von welcher Bar?«, unterbrach ihn Amelie heftig.
»Von verschiedenen. Die Lokale gibt es nicht mehr. Und der Herr selbst ist vor einigen Jahren verstorben.«
»Und das Modell auf meiner Zeichnung, das würde heute niemand mehr tragen?«, fragte Amelie mutlos.
»Zu einem Maskenball vielleicht«, schmunzelte der Meister.
Amelie bedankte sich, stülpte ihre Mütze über und sagte ihm Adieu. An der Tür wandte sie sich noch einmal um und fragte: »Was glauben Sie, für wen sie gemacht wurden, die schwarzgrünen.«
»Ach, da bin ich ziemlich sicher«, meinte der Senior, »die waren für Domestiken in einem herrschaftlichen Haushalt bestimmt.«
Sie hatte das von…bis um eine Stunde überschritten. Die Ergebnisse ihrer Recherche waren bestenfalls als amorph zu bezeichnen. Das Einzige, was sie in der zunehmend aussichtslos scheinenden Angelegenheit X noch weiterbringen konnte, schien Amelie die vom Maßschuhmacher angeregte Annonce.
Schon beim Aufsperren der Ladentür sah sie den roten Knopf am Anrufbeantworter wie besessen blinken. Zweimal Burgi Wechsler. Anruf eins: Um dreizehn Uhr werde ein Interessent für Amelies Prager »Pimperln« im Laden vorbeikommen. Anruf zwei: Der Interessent habe Amelies Ladentür verschlossen gefunden, jammerschade, jetzt sei er bereits nach Hongkong unterwegs. Der Stammkunde mit den Teddybären ersuchte dringend um einen Termin. Der Wirkliche Hofrat hatte gehofft, sie sprechen zu können, er verreise auf eine Woche und werde sich nach seiner Rückkehr wieder melden. Lizzi Lenz aus Salzburg: »Servus Herzerl, wo bist denn?« Knacks aufgelegt. Und Uli: Er habe Amelie schon wieder nicht im Geschäft angetroffen! Er wolle diese Entwicklung gar nicht kommentieren, er wolle Amelie bloß sehen und sprechen. Er schlage ein gemeinsames Abendessen vor. »Und zwar heute! Rückruf dringend erbeten.«
Mit nagendem Gewissen erledigte Amelie die Rückrufe. Uli kam zuletzt dran. Das Gespräch war kurz und bündig. Er stellte keine Fragen, sie sagte für den Abend zu.
Sie trafen sich in einem von Ungarn geführten Beisl in der Nähe von Ulis Wohnung. Das beste Gulasch und die süßesten Palatschinken der Stadt. Ein winziges Lokal, ganze sechs Tische, lautstark besetzt. Niemand hörte zu, als Uli Hahn Amelie Lenz die Leviten las. Ob sie denn völlig übergeschnappt sei, ihr Geschäft derart zu vernachlässigen. Kopfschüttelnd seien potenzielle Kunden vor der verschlossenen Tür des Ladens gestanden und wieder weggegangen, das habe er mit eigenen Augen gesehen, als er sie besuchen wollte. Ausgerechnet jetzt, wo das Weihnachtsgeschäft anhebe. Eine Dame habe ihn gefragt, ob Frau Lenz krank sei oder am Ende dichtgemacht habe. Weshalb Amelie nicht gleich August als Geschäftsführer einsetze. Ob sie sich denn ruinieren wolle…
»Wieso ruinieren? Ich bin geschäftlich unterwegs.« Es war ein lahmer Versuch einer Rechtfertigung. Uli wischte ihn vom Tisch.
»Für wie blöd hältst du mich, Ami. Ich kenne dich doch. Du bist noch immer hinter dem Gespenst mit den Galoschen her.«
»Gamaschen! Es sind Gamaschen«, sagte Amelie trotzig.
»Woher weißt du das?«
»Ist doch Wurscht…aber wenn du’s genau wissen willst – ich habe mich bei Fachleuten erkundigt.«
»Na wer sagt’s denn«, rief Uli laut und schlug sich auf den Schenkel. »Meine Ahnung wird Gewissheit, das dumme Weib versaut ihr Leben wegen eines Hirngespinsts!« Als Amelie bloß bockig vor sich hinstarrte, fuhr er eindringlich
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