Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
krankhafte Fixierung werden könne; dass sie das Glatteis, auf das sie sich begeben hatte, schleunigst verlassen und wieder auf sicheren Boden zurückkehren solle. Dann wieder versicherte sie sich selbst, es sei lediglich spielerischer Ehrgeiz, der sie dazu treibe, die Suche fortzusetzen; eine Art Fuchsjagd nach einem flüchtigen Zauber, den man bloß wiederfinden wolle, um ihn zu exorzieren.
Auf diese Weise ging der aufregendste November in Amelie Lenzens Leben in einen höchst ungewissen Dezember über. Das Wetter war trübe und seltsam abgestanden. Das Geschäft ging schlecht, zumal sich Amelies Versuche, sich via Internet an Versteigerungen zu beteiligen, wegen mangelnder Erfahrung als Fehlschläge erwiesen. Hinzu kamen die sinnlosen Kosten für die Gamaschen-Inserate. Amelie hatte es in vier weiteren Tageszeitungen probiert, ohne Erfolg, kein Schwein hatte angerufen.
Auch in der angestrebten Trennung von Hermann trat sie auf der Stelle. Er hatte das unter einem fadenscheinigen Vorwand von Amelie abgesagte zweite Samstagstreffen locker verschmerzt und das darauf folgende seinerseits kurzfristig abgesagt. Ihr Verdacht, dass Hermann ein Gspusi haben könne, verdichtete sich, um ihn zu erhärten, bediente sie sich einer unfeinen List.
Sie rief bei einer seiner Kolleginnen an, mit der sie sich stets gut verstanden hatte, tratschte über dies und jenes und fragte schließlich eher nebenbei: »Sag, die schmale hübsche Person, mit der ich Hermann unlängst gesehen habe, ist das seine neue Freundin? Du weißt ja, Hermann und ich haben uns in aller Freundschaft getrennt…«
Die Irregeführte fiel prompt auf den Trick herein. Nach einem kurzen, »aber was du nicht sagst, ich hab ja gar nicht gewusst, dass ihr auseinander seid«, lieferte sie Amelie die gewünschte Auskunft. Nein, von einer schmalen Hübschen wisse sie nichts, ihres Wissens sei Hermann mit einer drallen dreifachen Mutter verbandelt, höchst diskret zu behandeln das Ganze, immerhin sei die Frau verheiratet. »Wenn du mich fragst: nichts Ernstes, rein sexuell, eine Mutzenbacher-Beziehung«, schloss die Informantin.
»Glaube ich auch«, stimmte ihr Amelie, die sich unter einer Mutzenbacher-Beziehung nicht wirklich etwas vorstellen konnte, weil sie das einschlägige pornografische Werk nur vom Hörensagen kannte, im Brustton der Überzeugung zu.
Im Anschluss an das Telefonat tauchte wie von selbst das Bild eines koitierenden Hermann und einer fleischigen rosafarbenen Partnerin vor ihrem inneren Auge auf. Sie ging in sich, um herauszufinden, ob das Bild sie kalt ließ. Es ließ.
Davon abgesehen geriet ihre Befindlichkeit zunehmend ins Schwanken, Zuversicht und Niedergeschlagenheit wechselten sich ab. Amelie zählte nicht zu den Menschen, die sich leicht mitteilen, umso wichtiger waren für sie die wenigen Vertrauten, denen sie sich ohne Mühe eröffnen konnte. Und just denen wich sie zurzeit aus. Uli mied sie, um den unvermeidlichen Fragen zum Fall X zu entgehen. Burgis wiederholte Versuche, sie zu sehen, schmetterte sie ab, weil sie wusste, dass die Freundin Amelies besorgniserregendes neues Geschäftsgebaren zur Sprache bringen würde. Selbst ihren Lieblingsvetter Lorenz, der in der ersten Adventswoche aus Salzburg nach Wien kam und mit ihr zu Abend essen wollte, sah sie nicht. Sie habe leider, leider schon eine Verabredung… Nichts hatte sie vorgehabt. Statt mit Lorenz gemütlich zu quatschen, lag sie im »Orient« und weinte leise in die Polster.
Dass sie dabei war, in eine Isolation zu rutschen, wurde ihr freilich erst klar, als der Wirkliche Hofrat sie anrief, um anzufragen, ob er sie zum Bartenberg'schen Hauskonzert begleiten dürfe.
»Das ist sehr lieb, Herr Hofrat, danke sehr, aber ich gehe gar nicht hin«, murmelte Amelie gezwungen lächelnd ins Telefon.
»Aber liebes Kind…«, der Hofrat schien derart erstaunt, dass ihm zunächst die Worte fehlten. »Warum denn nicht? Das Adventkonzert bei Bartenberg gehört zum Erlesensten, was in privaten Wiener Kreisen heutzutag geboten wird.«
»Ich bin ja selbst ganz gebrochen, Herr Hofrat.« Amelie rang sich einen forschen Ton ab, um möglichst locker zu klingen. »Ich habe schon vor einer Woche abgesagt, ich musste, weil ich jetzt, in der Vorweihnachtszeit, vor lauter Arbeit nicht weiß, wo mir der Kopf steht.«
Der Hofrat fraß die Lüge. »Ein Jammer«, sagte er traurig. »Bartenberg hat sich so sehr auf Ihr Kommen gefreut…Nun ja, vielleicht klappt es im Frühling, da findet traditionell das
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