Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
behände positionierten. »Das hier ist Johann Strauß mit seinem Orchester, ich bitte, den sechseckigen Pavillon zu beachten. Oder das hier, das Prater-Kaffeehaus – ziemlich aufwendig: Tische, Zäune, Bäume, Laternen, Hecken, Oberkellner, vierzehn Damen und Herren beim Kaffee. Und hier«, Amelie hob den Kopf, ihr Haar glitt wie ein Vorhang von ihren Wangen zurück, und verschmitzt lächelte sie Bartenberg, der sie unablässig beobachtete, in die Augen, »meine beiden Lieblinge. Erstens die Damenkapelle. Stehgeigerin, neun Musikerinnen, zehn Notenständer, Musik-Pavillon. Zweitens die Kinder im Winter. Sehen Sie! Schneemänner, Schlittschuhläufer; und da, die beiden Buben machen grad eine Schneeballschlacht; und die Maronibraterin, wie bei uns daheim in Salzburg am Eislaufplatz, als ich noch ein Kind war.« Etwas verlegen verstummte sie und sah Bartenberg erwartungsvoll an.
Er räusperte sich, drehte sich von Amelie weg und murmelte: »Die reinste Verführung. Ich werde meinen Neffen dazu befragen.« Er deutete auf die Auslage. Jetzt erst sah Amelie, dass ein Mann davor stand, der in den Anblick der Exponate versunken schien. »Er ist der Vater der zu allerlei Hoffnung berechtigenden jungen Dame in USA.« Er hob die Hand und winkte. Der Mann vor dem Schaufenster sah auf, nickte, und betrat unter sanftem Türgezwitscher den Laden. »Mein Neffe Daniel Bartenberg, Amelie Lenz«, sagte Leopold.
Im Gegensatz zu seinem Onkel war Daniel Bartenberg kein schöner Mensch. Ebenso groß, aber schwerer. Fast massig. Dennoch seltsam geschmeidig. Unregelmäßige Züge, unregelmäßige Nase, kurzer Nacken. Und keine Spur von der Eleganz des Leopold Bartenberg. Daniel war leger gekleidet – Schnürlsamthosen, Rollkragenpullover, Daunenjacke. Sieht aus, als wollte er zum Wintersport verreisen, dachte Amelie, grüßte ihn mit einem Kopfnicken und sah ihm in die Augen. Die freilich waren bemerkenswert. Grünbraungold gesprenkelt. Schnell, intelligent, wachsam. Irgendwie amüsiert, gleichzeitig gelassen. Als habe er, was er sah, im Nu erfasst und warte ab, was daraus werde. »Hallo«, sagte Amelie.
»Hallo«, antwortete Daniel Bartenberg und sah sich um, »haben Sie auch Kreisel?«
Der Besuch der beiden Bartenbergs hob den schäbigen Monatsumsatz von »Altes Spielzeug – Amelie Lenz« beträchtlich. Leopold erwarb für das coole Gör in USA nicht nur die Kinder im Winter und die Damenkapelle, sondern auch noch drei kühne Herren auf Hochrädern. Der Neffe suchte sich aus Amelies Vorrat an kleinen Kreiseln den teuersten aus Bein und zwei simple bunte hölzerne aus.
»Für ihre Tochter?« fragte Amelie.
Daniel Bartenbergs Lächeln war sympathisch. »Nein, für mich«, sagte er. Und als er schließlich, ohne mit der Wimper zu zucken, ein besonders teures Objekte aus Amelies Angebot, ein seltenes, in hervorragendem Zustand befindliches »Lebensrad« erwarb, kommentierte er den Kauf ungefragt. »Auch das ist nicht für meine Tochter. Und nicht für mich.«
Der Besuch von Bartenberg & Neffe hatte die Ertragslage von »Altes Spielzeug – Amelie Lenz« erheblich verbessert. Überdies war es Amelie gelungen, bei der Weihnachtsauktion des Dorotheums einen seltenen Steiff-Teddy für ihren Sammler zu ersteigern. So gesehen hätte sie dem nahenden Weihnachtsfest im Hause ihrer Eltern gelassen, ja freudig entgegenblicken können. Sie tat es nicht. Und suchte den Urheber ihres Unbehagens in Hermann, den sie vier Tage vor ihrer Abreise nach Salzburg im Café Eiles traf.
»Ich habe kein Weihnachtsgeschenk für dich«, eröffnete sie patzig.
»Ich habe auch keines für dich«, antwortete Hermann vergnügt.
Amelie verzog das Gesicht, als hätte sie in ein verdorbenes Lebensmittel gebissen. »Hermann, lass uns endlich Schluss machen«, sagte sie gallig. »Das mit der Karenz ist doch Käse. Warum sagen wir uns nicht heute in aller Ruhe Adieu? Es wäre ein guter Zeitpunkt. Wir könnten beide das neue Jahr in Freiheit beginnen…«
»Ich schon, du nicht«, unterbrach Hermann sie freundlich.
»Wie darf ich das verstehen?« Ihre Stimme klang schrill. Auch das nahm sie Hermann übel.
Der blieb gelassen, fast heiter. »Du scheinst mir seit einiger Zeit gestört«, sagte er. »Du bist anders. Oft gedankenabwesend, hochgradig gespannt, zuweilen hysterisch. Ich denke, du brauchst einen Therapeuten…«
Worauf Amelie aufsprang, »Fröhliche Weihnachten« zischte und ging.
Und Hermann unternahm keinen Versuch, sie zu halten.
Zwei Tage vor Heilig
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