Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
Abend klopfte die Zadrazil abends an die Tür des Salettls. Sie hielt Amelie eine mit Goldband umwickelte Schuhschachtel entgegen. »Für Sie, Fräu’n Lenz. Fröhliche Weihnachten. Es san Vanillekipferln, des Rezept is’ no’ vo meiner Mama. Die Schochtl is’ ganz voll, weil der Zadrazil eh kane essen derf, er hot Zucka. Und Ihna tan’s net schod’n. Weil’s eh scho’ so moga san. In letzter Zeit gradezu abgezehrt, i hoff, Sie hom ka heimliches Leiden.«
Amelie dankte und bat die Zadrazil nicht herein. »Alsdann, schöne Feiertage, Fräu’n Lenz«, sagte die Hausmeisterin.
»Fröhliche Weihnachten«, antwortete Amelie. Sie sah der Frau nach, die enttäuscht davontrottete, und plötzlich zwickte sie das Gewissen. »Wollen Sie nicht ein Sprüngerl hereinkommen, Frau Pepi«, rief sie ihr nach, aber da war die Zadrazil schon im Schlund des Haupthauses verschwunden.
Natürlich hatte Amelie gewusst, dass weder sie noch Uli es übers Herz bringen würden, einander vor Weihnachten nicht in die Arme zu fallen. Nachdem sie ihm im Lauf der vergangenen Wochen ostentativ ausgewichen war, tat sie nun den ersten Schritt. Sie rief ihn an und fragte, wann man sich vor dem Fest noch sehen könne.
»Wann sperrst du den Laden zu?«, fragte Uli.
»Am dreiundzwanzigsten Dezember, Punkt siebzehn Uhr. Am Vierundzwanzigsten kauft ja doch kein Hund mehr was ein. Da nehme ich den Mittagszug und bin zu Hause, wenn der Christbaum schon geschmückt und der Karpfen schon paniert ist. Und wann fährst du?«
»Ich schmeiß mich am Dreiundzwanzigsten gegen Mittag in die Karre und treffe Ludwig direkt in Gastein. Am Weg komme ich einen Sprung bei dir vorbei.«
Amelie hatte für Uli eine Mütze stricken lassen. Schwarz mit winzigen orangefarbenen Hähnen am Rand. Sie hatte ihr Geschenk in schwarzes Japanpapier gepackt und mit einer orangefarbenen golddurchwirkten Kordel verschnürt. Als Uli seinen Wagen vor dem Laden parkte, war sie gerade dabei, August für die kommenden zehn Tage in Szene zu setzen. Der Bär saß mit dem Rücken zur Straße. An seinem Schwänzchen war ein Kalenderblatt mit der Aufschrift 2000 befestigt.
Das 2000 hatte Amelie durchgestrichen. Ein Zylinder saß schräg auf Augusts Kopf, über seine Schultern hingen bunte Papierschlangen. In den kunstvoll mittels Nylonschnüren erhobenen Pfoten hielt er eine Schultafel, auf die Amelie mit roter Kreide Es lebe das Jahr 2001!!! gemalt hatte.
»Klingt mir wie ein Stoßgebet«, ätzte Uli und deutete auf die Schultafel.
»Hallo Hähnchen, sei lieb zu mir, ich kann es brauchen«, erwiderte Amelie. Sie schloss die fertige Auslage von außen und betrat mit Uli den Laden.
»Also nichts Neues vom Phantom?«, fragte Uli. Er hatte den Arm um Amelies Schulter gelegt, sie lehnte den Kopf an die seine und rieb ihren Kopf daran, bis ihr Haar zu knistern begann. Uli drückte sie sanft an sich. »Heißt das ja, oder heißt das nein?«
Amelie machte sich von ihm los, ging zu ihrem Schreibtisch und griff nach dem schwarzen Weihnachtspäckchen. »Weißt du was, für heuer lassen wir das Thema. Fröhliche Weihnachten, mein Hähnchen.« Sie reichte ihm das Päckchen.
Uli grinste wie ein Bub. Er befingerte das Päckchen. »Weich! Darf ich’s aufmachen?«
»Untersteh dich!«, drohte Amelie und lächelte ihn mit vorbehaltloser Zärtlichkeit an.
»Jetzt du, mein Hühnchen. Fröhliche Weihnachten«, sagte Uli, langte in die Innentasche seines Lodencapes und holte seinerseits ein Päckchen hervor. Ein kleines Verpackungskunstwerk aus Gold und Silberfolie. Zweifelsfrei ein Buch. Im oberen Drittel des Päckchens ein Fenster in Form eines geschwungenen Auges, in dessen Zentrum das Wort »Lola« zu lesen war.
»Eine Lola-Montez-Biografie«, mutmaßte Amelie lächelnd.
Uli lachte nicht zurück. Er umfing ihre Schulter und drückte sie neuerlich an sich. Die Geste war ebenso innig wie dringlich. »Nein, mein Liebling, keine Biografie«, sagte er, »es ist ein Ratgeber für Menschen, die von einer fixen Idee besessen sind und endlich loslassen sollen.«
6
Weihnachten hatte weiß zu sein, wenn es grün war, hing die Welt schief, davon war Amelie seit ihrer Kindheit überzeugt.
War Weihnachten weiß, konnte das Christkind mit dem Schlitten anreisen. Auf dem hatten naturgemäß mehr Geschenke Platz als in dem Buckelkorb, den das Kindl schleppen musste, wenn der Schnee ausblieb. Weiße Weihnachten bedeuteten Rodelpartien und Schilaufen und Schneeballschlachten mit Vetter Lorenz und den
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