Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
sie zu Besuch bei den Eltern war.
Als jungverheiratetes Ehepaar hatten Josef und Lizzi im Herzen der Salzburger Altstadt im Lenz'schen Stammhaus gewohnt. Der Sitz der Offizine befand sich noch immer dort. Und Lorenz Lenz hatte sich im obersten Stock eine schicke kleine Junggesellenwohnung eingerichtet. Die restlichen Räumlichkeiten waren zu Büros umgebaut und teuer vermietet worden. Denn Karl Lenz hatte schon vor seiner Hochzeit mit Helene ein Einfamilienhaus in Parsch gebaut. Und Josef hatte den Grund in Anif erworben, als Lizzi mit ihrem ersten Kind schwanger war.
Der kleine Franz starb mit sechs Monaten einen plötzlichen Kindstod. Obwohl Lizzi völlig gebrochen war und an ein weiteres Kind zunächst nicht denken wollte, bestand Josef darauf, das Haus in Anif zu bauen. Als Amelie zwei Jahre später auf die Welt kam, waren die Eltern gerade eingezogen.
Ein simples, schmuckloses Haus. Nicht klein, aber auch nicht groß, eher nach Maßgabe der Nützlichkeit als der Ästhetik konzipiert. Einstöckig, unter dem steilen Dach eine Mansarde. Erstbesuchern beschrieb Josef sein Haus gern als einen »viereckigen Kasten mit dreieckigem Hut in einem Bauerngarten«. Für Amelie war es jahrelang einfach ihr »Zuhause« gewesen. Erst seit sie das von Uli hergerichtete Salettl bewohnte, sah sie sich im Elternhaus bewusster um und fragte sich, was sie umgestalten würde, falls sie erneut hier leben müsste.
Ein zu klein angelegter Windfang. Ein zu eng geratenes Vorzimmer, das von Überkleidern, Schuhen, Schirmen, Taschen und Stapeln alter Zeitungen stets überquoll. Das Wohnzimmer mit seiner Eckbank, die im Lauf der Jahrzehnte mehrfach der Mode entsprechend überzogen worden war, aber das Stigma des Sechzigerjahre-Designs niemals loswerden würde. Schöne alte Bilder und Standuhren, Lenz’sche und Schouten'sche Erbstücke. Die verglaste Schiebetür zum Speisezimmer, dessen Tisch gleichfalls aus den Anfängen des Lenz'schen Hausstandes stammte. Selbst die zauberhaften Empirestühle, welche Großmutter Amelie eingebracht hatte, konnten den Eindruck dieses Tisches nicht ganz verwischen. Das väterliche Studio freilich war eine Welt für sich. Notenständer, Geigenkasten, Bücherwände. Ein kleiner Refektoriumstisch aus dem 18. Jahrhundert, zum Schreibtisch umfunktioniert. Vier Ohrenfauteuils, die, einander zugewandt, mitten im Raum standen und nur darauf zu warten schienen, dass vier Herrschaften auf ihnen Platz nehmen und zu diskutieren beginnen und damit niemals wieder aufhören würden. Den ersten Stock mit seinen drei Schlafräumen und zwei gepflegten, aber keineswegs dem Trend zu mehr Luxus im Bad entsprechenden Bädern konnte man, fand Amelie, vergessen. Die Mansarde hingegen besaß Weite, Licht, Charme, Stil. Hier hatte Amelie die Ältere gelebt, der Raum trug den Stempel ihrer Persönlichkeit, ja doch, hier war gut sein. Das große dreieckige Fenster mit dem Wiesenblick erinnerte an das Atelierfenster im Salettl…
Amelie seufzte sehnsüchtig und ging hinunter, um den Tisch zu decken, welchen ein weißes Damasttischtuch gnädig verhüllte. Das Silber war geputzt, die Gläser glänzten. Das gute, aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammende Geschirr war, weil ausschließlich an hohen Fest- und Feiertagen in Gebrauch, ziemlich vollständig, es bedurfte also keiner Zuhilfenahme aus anderen Beständen, was das Bild der Tafel gestört hätte.
Zufrieden ging Amelie in die Küche, um sich an die Griesnockerln zu machen. Lizzi schimpfte halblaut auf die Gans, auf Weihnachten und auf die Verwandten, während sie die schwere Pfanne mit dem Riesengeflügel zum Aufgießen aus dem Rohr hob. Ihre Wangen waren hochrot, ihre schicke Feiertagsfrisur war beim Teufel, auf ihrem Handrücken glänzte eine Brandblase, und ihre Finger waren dunkelrot eingefärbt. »Blaukraut«, sagte sie anklagend und warnte Amelie wie stets, wenn die Kocherei ins Finale ging, sich nur ja nie auf große Essen – schon gar nicht für die Familie – einzulassen.
Diese stand pünktlich um 12.30 Uhr vor dem Gartentor. Inge, Mann und Kinder waren in einem Auto gekommen, Lorenz hatte Mutter Helene und Schwester Sissi in seinem Geländewagen mitgebracht. Sissis Sohn war nicht dabei. »Was soll ich machen, er spinnt wieder einmal«, seufzte seine Mutter, während sie vor dem Vorzimmerspiegel stand und mit gespreizten Fingern ihre Löckchen lüpfte, um ihnen mehr Volumen zu geben. Sissi war das Ebenbild ihrer Mutter: mittelhübsch, groß, schlank, kaum Busen,
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