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Amelie und die Liebe unterm Regenschirm

Amelie und die Liebe unterm Regenschirm

Titel: Amelie und die Liebe unterm Regenschirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Molden
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keine Taille, steif. Die kleinere, anmutigere, zurzeit vor allem runde Inge war trotz Schwangerschaft weit beweglicher als ihre Schwester. Eine fröhlich schnatternde, temperamentvolle Frau, die ihren farblosen Mann und ihre beiden lauernden Knaben mit links dirigierte.
    Der gelungenste von Karls und Helenes unmittelbaren Nachkommen war zweifelsfrei Sohn Lorenz. Ein großer, gut gebauter, sportlicher Mensch mit verwegenem brünetten Haarschopf, braunen Augen und gewinnendem Lachen. Ein erfolgreicher Geschäftsmann außerdem. Seine Handelsagentur boomte, das Familienunternehmen Offizine Lenz würde er, falls Onkel Josef einmal nicht mehr wollte, ohne Schwierigkeit mitbetreuen können. Lorenz war ein begehrtes Objekt auf dem Salzburger Heiratsmarkt, war jedoch bislang allen Versuchen, ihn dingfest zu machen, ausgewichen. Er liebte seine Freiheit und wusste sie zu nützen. Wenn man in der Familie fragte, wann er sich endlich zu binden gedenke, antwortete er stets: »Wenn ich eine wie Amelie finde.«
    Die Liebe war gegenseitig. Strahlend lief Amelie dem Vetter entgegen, er hob sie hoch und drehte sich mit ihr im Kreis, bis ihr Haar waagrecht flog. Die Familie wich zurück und belächelte die stürmische Begrüßung.
    »Ich auch fliegen«, quietschte der kleinere von Inges Buben. »Ich will den Christbaum sehen«, raunzte sein Bruder. Vor allen anderen machte er sich ins Wohnzimmer auf und begann stracks den mannshohen Weihnachtsbaum zu attackieren. Mutter Inge folgte ihm auf den Fersen. »Untersteh dich, Karli«, zischte sie und entwand der feisten Faust ihres Älteren das eben geraubte Marzipanäpfelchen. Nach diesem Einstieg nahm das festliche Christtagsessen der Familie Lenz seinen herkömmlichen Lauf.
    Helenes Wangen, welche im Normalzustand an fahles Seidenpapier erinnerten, färbten sich nach dem ersten Sherry pink, nach dem zweiten trugen sie kreisrunde rote Flecken. Sissi zupfte an ihren Löckchen, trank Sekt in tiefen Zügen, winkte auf Josefs Frage nach ihrem mühsamen Sohn kurz ab – ein zu unerfreuliches Thema, dieser Bub –, um gleich darauf seine Verfehlungen aufzuzählen und sich endlos darin zu vertiefen. Amelie bekam eine detaillierte Beschreibung von Inges Schwangerschaft ab. Als es ihr endlich gelang, sich von Inge weg und deren Mann zuzuwenden, war Letzterer grade in die Knie gegangen, um die Brösel der Solettis, die seine Sprösslinge verstreut hatten, vom Teppich aufzulesen. Lorenz stand an der Tür zur Terrasse, hatte der Familie seinen Rücken zugekehrt und raspelte leise lächelnd Süßholz in sein Handy. Nur Lizzi war nicht zugegen. Sie stand in der Küche und tranchierte fluchend die Weihnachtsgans. Um Punkt 13.15 Uhr schob sie die verglaste Tür zum Speisezimmer auf und überschrie das animierte Stimmengewirr im Wohnzimmer. »Ich bitte zu Tisch!«
    Das Essen inklusive Mocca und Weihnachtsbäckerei zog sich bis 16 Uhr hin. Kinderkrankheiten und der Beginn des neuen Jahrtausends, das unnatürlich warme Wetter und die Festspielintendanz, Lokalpolitik und das Rezept von Lizzis hauchzarten Erdäpfelknödeln hatten sich zu einem trauten, nicht gerade seichten, aber auch nicht sehr anspruchsvollen Dauersummen verdichtet. Inges Kinder waren mit Hilfe eines Wicki-und-die-starken-Männer-Videos ins Wohnzimmer verfrachtet worden und saßen wie zwei kleine Pagoden vor dem Fernsehapparat. Ein Gefühl zufriedener Trägheit begann sich breit zu machen, als Sissi ohne Apropos, mit spitzer Stimme quasi aus der Hüfte schoss: »Sag, Amelie, wird es nicht langsam Zeit, dass du unter die Haube kommst?«
    Das Summen verstummte. Die Verwandtschaft blickte teils neugierig, teils betreten auf Amelie, die mit runden, fast erschrockenen Augen ihre Kusine anstarrte, ohne etwas zu erwidern. Das Schweigen wurde Sissi sichtlich peinlich, verlegen begann sie zu gackern: »Ich mein ja nur, immerhin bist du – wie alt bist du jetzt? – dreiunddreißig, da wird’s doch für eine Frau langsam Zeit, oder?« Das Schweigen dauerte an, niemand kam Sissi zu Hilfe. »Ich dachte der Deutsche, dieser Söhnker, und du, ihr wolltet…«
    »Amelie und Hermann Söhnke haben sich getrennt«, sagte Josef Lenz ruhig und deutlich.
    »Mag noch jemand zum Abschied einen Cognac? Oder einen Nussschnaps«, fragte Lizzi in die immer noch anhaltende Stille.
    Erleichtert begannen die Anwesenden, durcheinander zu reden. Lorenz beugte sich zu der neben ihm sitzenden Amelie: »Mach dir nichts draus. Sissi ist und bleibt ein Trampeltier, als Gott

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