Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
sie Amelie begrüßte, war echt. Schnelles, gekonntes Augenmaß, offenes Lächeln. »Ich freue mich«, sagte sie und reichte dem Gast beide Hände.
Die Gesellschaft setzte sich aus etwa zwanzig ungemein adretten, wohlriechenden, in Markenware steckenden Menschen zusammen. Alle zwischen dreißig und vierzig. Trotz des deutlichen Bemühens jedes Einzelnen, besonders auszusehen, wirkten doch alle irgendwie gleich. Keiner gegen den Strich gebürstet, dachte Amelie, nachdem Susan sie mit den Gästen bekannt gemacht hatte. Die Gespräche drehten sich um Golf und Schifahren und Autos und Steuern. Das Catering hatte das Salzburger Nobelbeisl Goldener Hirsch übernommen. Ein DJ wirkte diskret in einer Ecke. Schick, das Ganze und doch Provinz, fand Amelie und war froh, bald wieder nach Wien fahren zu können. Im selben Augenblick wurde ihr der Gamaschenmann gegenwärtig. So gegenwärtig, dass warme Wellen über ihren Rücken liefen.
Eine Stunde vor Mitternacht war die Gesellschaft leicht betrunken und begann, sich zu Paaren zu formieren. Ich bin hier niemandes Typ und niemand ist meiner, sagte sich Amelie ohne Bedauern und unterhielt sich gottergeben mit einem spät gekommenen Bildhauer, der ihr versicherte, sie besitze eine kosmopolitische Aura, während er seinen lüsternen Blick nicht von Susan lassen konnte.
Um Mitternacht stürzte alles auf den großen Balkon vor dem Salon. Aus der Stadt dröhnten die Glocken, Raketen stiegen in den Himmel. Der Blick auf das beleuchtete Salzburg war von hier oben feenhaft. Amelie kniff die Augen zusammen und dachte an X. Jemand nahm sie in die Arme und küsste sie hinters Ohr. Es war Lorenz. Susan hatte den DJ vorübergehend außer Dienst gestellt und das Radio angedreht. Donauwalzer. Bis zu seinem fernen Ende musste er durchtanzt werden. Er tanze nie, nuschelte der Bildhauer, der sternhagelvoll an der Balkonbrüstung Halt suchte. »Ich auch nicht«, sagte Amelie und betrachtete die Paare, die sich auf dem Teppichboden des Salons um halbwegs annehmbare Tanzschritte bemühten. Lorenz hielt Susan an sich gedrückt, er deutete den Walzer nicht einmal mehr an, seine Hände zogen andächtige Kreise über den Hintern seiner Partnerin. Plötzlich hob er den Kopf, sah Amelie immer noch auf dem Balkon stehen, flüsterte Susan etwas ins Ohr, ließ sie stehen und kam nach draußen. »Alles Walzer, Püppchen«, sagte er lachend, griff sie um die Taille und begann, sich auf dem Fleck mit ihr im Takt zu drehen. Fleckerlwalzer links rum, eine Kunst für sich. Lorenz beherrschte sie perfekt. Amelie meinte zu fliegen. Schneller, immer schneller, sie hatte die Augen geschlossen und lachte und fühlte sich unbesiegbar. Die letzte der endlosen Reprisen des berühmtesten Walzers der Welt klang aus. Amelie schwindelte es, sie hielt die Augen weiter geschlossen und hing in Lorenz’ Armen. Lorenz hielt sie fest, zog sie an sich, drückte ihren Körper der ganzen Länge nach an den seinen und küsste sie. Ausgiebig und unkeusch.
Eine halbe Stunde später verschwand Amelie unauffällig, nachdem sie sich nur von Susan verabschiedet hatte. Sie war überzeugt, dass Susan gesehen hatte, was auf dem Balkon vorgefallen war, und fand es besser, sich aus dem Weg zu räumen. Im Taxi nach Anif kicherte sie leise vor sich hin. Hübsch war der Kuss gewesen. Erregend. Und sozusagen in der Familie geblieben. Lorenz, schönes Mannsbild Lorenz. Er war nun mal ihr Vetter, daran war nicht zu rütteln. Und er war nicht ihr Schicksal.
Amelie schlief bis tief in den Neujahrsmorgen. Lizzi musste sie wecken. Eines der unverzichtbaren Lenz'schen Jahresrituale stand an: die Fernsehübertragung des Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker. Josef und die Seinen pflegten sich dafür hübsch anzuziehen. Lizzi hatte Canapés vorbereitet und Champagner kalt gestellt. Das Wohnzimmer duftete nach Weihnachtsbaum und Lachsbrötchen. Eltern und Tochter setzten sich zurecht, als befänden sie sich leibhaftig im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins. Sie verströmten Alphawellen.
»Dass es heuer ausgerechnet der Harnoncourt ist…« Lizzi seufzte wie ein verliebter Backfisch, während sie die Augen vor Glück verdrehte. Sie war in den Dirigenten vernarrt, nannte ihn ihren Froschkönig und hatte Amelie einmal anvertraut, dass sie auf Knien zu einem Rendezvous mit Nicolaus Harnoncourt rutschen würde, wollte er ihr ein solches gewähren.
Harnoncourt und die Philharmoniker rissen mit, verzauberten, ließen alle Sinne tanzen. Amelie war gelöst
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