Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
und glücklich. Während der Pause fragte der Vater beiläufig, wann sie die Absicht habe, nach Wien zurückzufahren.
»Morgen, vielleicht auch erst übermorgen«, antwortete Amelie vage. Sie wollte Lorenz gerne wiedersehen, ehe sie abfuhr. Reine Neugierde. Ob er den Mitternachtswalzer mit anschließendem Kuss erwähnen würde? Ob er verlegen oder vielleicht sogar sehnsüchtig dreinsah? Reine Neugierde, sonst nichts…
Das Telefon ratschte. »Amelie, für dich, dein Freund Uli«, sagte Josef und reichte ihr den Hörer. Das folgende Gespräch war ein Pingpong, das zeigte, wie gut die beiden Freunde aufeinander eingespielt waren.
»Ulitschek! Prosit Neujahr! Wo bist du?« Amelie quiekte ein wenig, sie hatte bereits drei Gläser Champagner intus.
»Prosit Neujahr, mein Hühnchen. Ich bin schon wieder in Wien, letzte Proben für Lumpazivagabundus sind angesetzt. Ludwig ist auf dem Weg nach Hamburg, ich bin einsam, ohne dich ist Wien reinstes Ödland, wann kommst du?«
»Bald, mein Hähnchen, wahrscheinlich übermorgen, kannst du es so lange ohne mich aushalten?«
»Ungern. Ich werde halt mit dem Cherusker vorlieb nehmen müssen.«
»Du musst – was?«
»Hermann Söhnke hat auf meinen Anrufbeantworter gesprochen und mich um ein baldiges Gespräch ersucht.«
»Hat er gesagt, was er will?«
»Nicht direkt. Nur angedeutet.«
»Also rück raus, was hat er gesagt!«
»Er möchte sich mit mir über deinen Geisteszustand unterhalten. Er hält dich für – O-Ton Söhnke – monumental gestört.«
Amelie sagte eine ganze Weile nichts. Sie spürte ihren Neujahrsschwips verebben und Wut in sich aufsteigen. Die ungelösten Beziehungen holten sie ein, ihr wunderbarer Schwebezustand war im Eimer.
»Bist du noch da, Ami?«, rief Uli ins Telefon.
»Ja, ich bin noch da«, knirschte Amelie, »aber nicht mehr lange. Ich nehme den Abendzug nach Wien und rufe dich an, sobald ich da bin. Ich will dich sehen und sprechen, ehe du Hermann siehst und sprichst – na warte, Söhnke, diese Suppe werde ich dir versalzen!«
7
»Jessas, des Fräu’n Lenz! Mitten in der Nocht!«, stieß die Zadrazil mit einer dem Anlass in keiner Weise entsprechenden Überraschung hervor. Es klang, als wäre Amelie nach langer Zeit des Verschollenseins unerwartet wieder aufgetaucht.
Zweiundzwanzig Uhr war es, als Amelie sich mühte, das große straßenseitige Tor aufzusperren. Wie es die Hausmeisterin schaffte, das Kommen und Gehen der Mieter zu jeder Tages und Nachtzeit zu observieren, würde ihr ein ewiges Rätsel bleiben.
»Woaten S’, i kumm und hüf Ihna, Sie ham jo an Hauf’n Gepäck«, rief sie und tat, als hätte sie Amelies »Danke Frau Pepi, das ist lieb, aber ich schaffe es allein« nicht gehört. Sie schmiss das Fenster zu, rumpelte aus ihrer Wohnung und stellte sich Amelie in den Weg. »Wiaso san S’ denn scho’ z’ruck, is’ wos g’scheng?«, wollte sie wissen und ging Richtung Salettl neben Amelie her. Ihr Angebot, Amelie beim Tragen zu helfen, wiederholte sie nicht. Stattdessen erfragte sie im Handumdrehen, dass nichts Besonderes vorgefallen, Amelie lediglich aus Geschäftsgründen schon wieder da und Weihnachten daheim ein voller Erfolg gewesen sei. Ihrerseits ließ sie wissen, dass sich der Sohn von Tür No. 5 beim Schifahren in Tirol das Bein gebrochen habe und in Wien über die Feiertage Gott sei Dank kein Schnee gefallen sei, was ihr das Schaufeln erspart habe. »Ihna Foaradl hob’ i trotzdem in Kölla ’trogn, Fräu’n Lenz. Für alle Fälle. Is’ eh scho’ so rostig…«
»Lieb von Ihnen, Frau Pepi, sehr lieb.« Amelie stellte das Gepäck ab, sperrte die Tür zum Salettl auf und wandte sich der Hausmeisterin zu, in der Hoffnung, dieselbe rasch zu verabschieden. Ihre Rechnung ging nicht auf, die Zadrazil hatte Amelies Rucksack ergriffen, war behände ins Haus geschlüpft und hatte das Licht angedreht, als wäre sie hier zu Hause.
»Na servas, do hot’s a Köt’n«, sagte sie schaudernd. »Is’ am End Ihna Heizung hin?« Prophetische Worte. Die Therme funktionierte nicht. Der herrschenden Temperatur nach zu schließen, musste sie schon vor einigen Tagen ausgefallen sein. Amelie rief den Notdienst an. Frühestens morgen würde jemand vorbeikommen, heute sei kein Monteur mehr im Dienst, hieß es. »Sie kennan do’ in dera Eishöh’n net schlof’n«, alterierte sich die Hausmeisterin, »kummans, Fräu’n Lenz, i’ moch’ Ihna bei mir auf’n Diwan a Bett.«
Es dauerte eine gute halbe Stunde, bis Amelie die
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