Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
darauf war Uli etwas gekränkt gegangen, weil Amelie plötzlich gemeckert hatte, sie an seiner Stelle hätte ein derartiges Gespräch erst gar nicht geführt, weil sie über ihre Freunde in deren Abwesenheit mit wildfremden Leuten grundsätzlich nicht spreche.
»Na hör mal! Ich habe es schließlich mit deinem Wissen und deiner Billigung getan«, hatte Uli sich verteidigt. »Wenn du glaubst, ich hätte mich zu meinem Vergnügen mit dem Cherusker getroffen…«
»Okay, okay«, hatte Amelie gemurmelt. Eine Entschuldigung war unterblieben. Sobald Uli verschwunden war, rief sie, ohne lange zu überlegen, bei Hermann an.
»Hier bei Söhnke«, sagte eine Frauenstimme.
Startvorteil für Amelie. Der eilends ans Telefon geholte Hermann war verlegen, versuchte die Anwesenheit der Weibsperson zu erklären, Amelie schnitt ihm das Wort ab. Nun, da er einer Trennung zugestimmt habe, sei doch das völlig belanglos. Auch auf Hermanns abstruse Idee, den armen Uli in ihre Angelegenheiten hereinzuziehen, wolle sie nicht weiter eingehen. Sie wolle lediglich vorschlagen, dass man sich noch einmal sehe, um sich zum Abschied die Hand zu reichen. Nach zehn mehr oder weniger gemeinsam verbrachten Jahren scheine ihr das angebracht. Und wichtig, um sich ohne Peinlichkeiten begegnen zu können, falls das der Zufall einmal wolle.
»Aber ja, ja doch, selbstverständlich, wann immer du willst, am besten gleich morgen«, stotterte Hermann betreten.
Sie trafen sich mittags vorm Burgtheater. Ein Spaziergang, hatte Amelie entschieden. Abschied im Gehen, diesmal würde es klappen. Das Wetter war grau und windstill, als sie den Volksgarten betraten. Aus alter Gewohnheit hatte Hermann ansatzweise versucht, Amelie unterzuhaken. Sie hatte den Kopf geschüttelt und war ihm ausgewichen, aber sie brach das verlegene Schweigen, das zwischen ihnen herrschte.
»Also gut, hiemit eröffne ich den Epilog«, sagte sie in leichtem Ton.
Hermanns Kopf schoss vor, er sah sie von der Seite an, und als er merkte, dass sie lächelte, schnaufte er erleichtert auf.
Die folgende halbe Stunde verlief nahezu vergnügt. Hermann und Amelie versicherten einander, dass die gemeinsam verbrachte Zeit eine gute gewesen sei; dass man nichts bereue; dass man ohne Wehmut, aber auch ohne schlechte Nachred voneinandergehe. Als Hermann auf Amelies vermeintliche Krise zu sprechen kam, blockte sie ab: Anspannung vielleicht, der Wunsch nach Veränderung, sonst nichts. Als er weiter in sie drängen wollte, schnitt sie ihm das Wort ab: »Lass das Thema, bitte. Ich möchte nicht darüber reden. Du hast mir in letzter Zeit nicht alles gesagt. Ich dir auch nicht.«
Hermann zuckte zusammen. Der Pawlow'sche Hund im eitlen Mann. Er sieht drein wie der Gatte, der erfährt, dass die Gattin ihn betrügt, dachte Amelie.
»Bleib locker, Hermann«, sagte sie, »im Gegensatz zu dir war ich treu.« Und mit einer Offenheit, die an Bosheit grenzte, setzte sie hinzu: »Obwohl ich dich manchmal liebend gern betakelt hätte.«
Drei langsame Runden hatten sie durch den Park gezogen und waren so sehr in ihr Gespräch vertieft gewesen, dass sie sich unversehens schließlich doch untergehakt hatten. Dann, irgendwann, war alles gesagt. Amelie blieb stehen und zog ihren Arm aus dem seinen. »Wirst du zurück nach Deutschland gehen?«, fragte sie noch, um irgendetwas zu fragen.
»Im Augenblick nicht. Für die Zukunft will ich es aber nicht ausschließen«, antwortete er und runzelte die Stirn, weil er gleichfalls nach etwas Unverbindlichem suchte, das er hätte sagen können, und ihm nichts einfiel.
»Alsdann Hermann,« Amelies Ton war forsch. Sie reichte ihm die Hand. »Viel Glück.«
»Dir auch.« Hermann hielt ihre Finger in den seinen, sah darauf nieder und versuchte einen Handkuss. »Ach was«, sagte er, ließ ihre Hand los, küsste sie auf beide Wangen, drehte sich um und ging.
Am Parktor wandte er sich noch einmal nach Amelie um, sah sie mit hängenden Armen dastehen und ihm nachschauen und rief ihr zu: »Bloß schade, dass ich umsonst Österreichisch gelernt habe!«
Und Amelie rief zurück: »Es ist nie umsonst, Österreichisch zu können!«
Ein eleganter Abgang, fand Amelie stolz. Mit Anstand. Ohne sich zu befetzen. Die erwartete Erleichterung stellte sich im erwarteten Ausmaß freilich nicht ein. Im Grunde hätte sie das Ende feiern müssen. Am besten mit Uli. Stattdessen saß sie im »Orient« und grübelte über der Frage: zehn Jahre meines Lebens. Ist’s das gewesen? Was ist davon
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