Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
und das Klaviertrio CDur, opus 87 von Brahms würde man hören. Amelie kannte beides und seufzte vor Glück.
Die Musik und die Schönheit der Räume, das sanfte lila Licht des Abends zwischen den grauen Säulen des Portikus’, der Duft von Flieder und von unaufdringlich gepflegten Menschen fügte sich für Amelie zu einem absolut harmonischen Ganzen.
»Geht es Ihnen gut?«, flüsterte Leopold Bartenberg einmal in ihr Ohr. Er hatte seinen Kopf so dicht zum ihrigen geneigt, dass sie sein Rasierwasser roch. Irgendwie vertraut, dachte Amelie flüchtig. »Wie im Feenland«, flüsterte sie zurück und lächelte in Bartenbergs Augen.
Das Souper wurde an kleinen Tischen für jeweils vier Personen serviert. Acht Tische fanden im Speisezimmer Platz, vier wurden von den beiden schwarz-weißen Hausmädchen und zwei aus dem Nichts aufgetauchten Kellnern mit Rasanz und Geschick im Salon aufgebaut, was an versierte Bühnenarbeiter erinnerte.
Amelie war an einem der Tische im Speisezimmer platziert. Rostrote Wände, Jagdszenen und Stillleben in alten Rahmen, Kerzenlicht. Ihre Tischgesellschaft setzte sich aus einem namhaften Herzchirurgen, einem Sektionschef im Justizministerium und einer rundlichen rotwangigen Matrone zusammen. Der Herzchirurg erzählte interessant. Er war von seiner Bedeutung überzeugt. Falls Letzteres auch auf den Sektionschef zutraf, wusste der das zu verbergen. Er war witzig und formulierte brillant. Er schäkerte mit Amelie auf eine Art, die ihr Spaß machte. Über seine Sarkasmen musste sie hellauf lachen. Die Matrone entpuppte sich als eine auf dem Lande lebende Baronin und vielfache Großmutter, die zur Unterhaltung nur insofern beitrug, als sie jeden Gang, der serviert wurde, mit großem Fachwissen kommentierte. Im Banne der vielfältigen neuen Eindrücke hatte Amelie den Speisen kaum Beachtung geschenkt. Sie stutzte erst beim Dessert. »Mein Gott, Zitronensoufflé für so viele Menschen, und nicht zusammengefallen«, hauchte sie ehrfürchtig.
Es erstaunte Amelie, wie wohl sie sich in dieser fremden neuen Welt fühlte. ›Wie der Fisch im Wasser‹, war es ihr mehrfach durch den Kopf gegangen. Erst während des allgemeinen Aufbruchs wurde ihr wieder unbehaglich zu Mute. Zuerst verabschiedeten sich der britische Botschafter und seine Frau. »Aha, l’heure fédérale«, raunte ihr der Sektionschef zu und gab seiner hübschen blonden Frau, die nicht weit entfernt von ihm stand, einen Wink mit den Augen. Amelie hatte keinen Schimmer, was mit der »heure fédérale« gemeint war, und empfand eine leise Panik. Gehe ich jetzt? Gehe ich später? Nur nicht überbleiben, nur das nicht, zu peinlich…Sie hielt nach dem Hofrat Ausschau und erspähte ihn inmitten einer kleinen Gruppe, die ebenfalls im Aufbruch begriffen schien. Sie schlich sich an und zupfte ihn am Ärmel. »Herr Hofrat, ich glaube, ich sollte mich verabschieden«, flüsterte sie ihm zu.
Der Hofrat winkte ab und nahm sie beiseite. »Leopold hat mir ausdrücklich aufgetragen, Sie zurückzuhalten. Er findet, dass er einen ›Drink zur guten Nacht‹ in Ihrer und meiner Gesellschaft redlich verdient hat.«
Es war fast Mitternacht, als Amelie, der Wirkliche und der Gastgeber in die tiefen Fauteuils vor dem Kamin in der Bibliothek sanken. Die goldenen Stühle waren auf mirakulöse Weise wieder verschwunden. Der Raum war trotz seiner Weite behaglich. Auch hier führten zwei hohe Glastüren auf den Portikus, die eine stand offen, kühle Nachtluft strich herein. Bartenberg, der Amelie beobachtet hatte, sah, wie sie ihre Schultern ein wenig hochzog. »Sie frösteln.« Er stand auf, schloss die Türe und entzündete die Holzscheite, die im Kamin bereit lagen. Dann wandte er sich um und sah auf Amelie herunter. Er studierte ihr Gesicht, das ihm zugewandt war, und fragte lächelnd: »Nun, meine Liebe, sind Sie zufrieden mit dem heutigen Abend?«
Diese letzte Stunde würde Amelie als die befriedigendste im Rahmen von Bartenbergs Hauskonzert im Gedächtnis behalten. Die beiden Herren rauchten schlanke Zigarren und tranken Cognac. Amelie, die kaum harte Getränke zu sich nahm, hatte sich zu einem Whisky überreden lassen. Das Gespräch plätscherte dahin. Von Jagd und von einer Jagdhütte im Salzkammergut war die Rede. Von den Meriten des britischen Botschafters. Und von denen des Sektionschefs, der Amelies Tischnachbar gewesen war.
»Einer der besten Köpfe des Landes«, bemerkte Bartenberg. »Viele halten ihn für ministrabel. Im Übrigen liebt er
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