Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
vereinbart, zum Wirklichen ins Taxi zu steigen, hängte sich die Zadrazil aus dem Fenster. »Klass schaugn S’ aus, Fräu’n Lenz. Als wia ein Schtar!«, trompetete sie mit nahezu mütterlichem Stolz, was Amelie rührte.
Den Hofrat hingegen ließ ihr Anblick verstummen. Er war aus dem Taxi gestiegen, um ihr hineinzuhelfen. Wortlos stand er da und sah sie an. Er musterte sie von Kopf bis Fuß, und seine Augen glänzten. Schließlich brachte er ein bewunderndes »Makellos« und »Hinreißend« zuwege.
Amelie lächelte etwas verlegen und neigte den Kopf, sodass die Amethystohrringe ihre Wangen streiften. »Ich bitt Sie, Herr Hofrat, so toll ist’s auch wieder nicht«, wehrte sie ab und stieg rasch in den Wagen, um weitere Elogen zu unterbinden.
Nachdem Julius von Hofeneder neben ihr Platz genommen hatte und das Taxi losgefahren war, musterte sie ihn ihrerseits. Dunkelblauer, gestreifter Anzug mit Weste, blütenweißes Hemd mit hohem Kragen, dezente Krawatte, das rosige Altherrengesicht aufs Sorgsamste rasiert und dezent duftend. ›Distinguiert‹ und ›Welt von Gestern‹ ging ihr durch den Kopf.
Der Abend war lau, das Fenster an Amelies Seite zur Hälfte geöffnet, draußen roch es verführerisch nach Frühling. Zeit, dass Gregor Freytag in die Stadt zurückkehrt, dachte sie und beschloss, in den kommenden Stunden nach Möglichkeit nicht mehr an ihn zu denken, sondern Bartenbergs Fest zu genießen.
Das Taxi war die Ringstraße und den Kai entlanggefahren. Irgendwann bog es in das Häusermeer des dritten Bezirks ein. Gassen links, Gassen rechts, schließlich eine Sackgasse. Was Amelie am Ende der letzteren sah, übertraf alle ihre Erwartungen. Ein knapper gepflegter Vorgarten, dahinter ein einstöckiges klassizistisches Haus mit Säulenvorbau, das man mit Fug und Recht als kleines Palais bezeichnen konnte. Gartentür und Haustor standen offen. An der Haustür stand, was Amelie mehr vom Hörensagen denn aus eigener Erfahrung als Stubenmädchen erkannte. Schwarzes Kleid, schwarze Strümpfe, schwarze Schuhe; weiße Schürze, weißes Häubchen, weiße Zwirnhandschuhe. »Wie im Film«, hauchte Amelie, fühlte sich plötzlich befangen und hielt sich dicht an den Hofrat, als sie die flachen Stufen zum Eingang erklomm.
Ein langer Gang. An den Wänden Porträts in Öl. Familie wahrscheinlich. Alte Familie, Offiziere mit Degen und Damen in Empirekleidern. Spiegelnder dunkler Parkettboden – nur nicht rutschen! – und links um die Ecke: der Salon. Hoch, licht, nicht enden wollend. Am Eingang Leopold Bartenberg. Umwerfend elegant, hinreißend charmant. Er zähle darauf, dass Julius Hofeneder die schönste Frau des Abends an seiner Stelle behüten werde, bis er, Bartenberg, alle seine Gäste begrüßt habe.
Die Gäste. Eine stetig wachsende Gruppe von Menschen mittleren und reifen Alters. Nicht schick, aber vornehm. Keine der Frauen nach dem letzten Schrei gekleidet, keine in Hosen. Kaum Make-up. Schöner alter Schmuck. Angeregtes Gemurmel, kein schriller Ton. Champagnergenippe. Jeder schien jeden zu kennen.
»So großartig habe ich es mir nicht vorgestellt«, flüsterte Amelie dem Hofrat zu und wich an die hohen, offen stehenden Glastüren zurück, die auf den von schlanken grauen Säulen getragenen Portikus führten. »Ist das Haus schon lange im Besitz der Familie?«
Hofeneder hatte sie mit einigen der Gäste bekannt gemacht und freute sich diebisch, dass Amelie, die er nicht zu Unrecht als seine Entdeckung betrachtete, das Interesse der Anwesenden erweckte. Man unterhielt sich über sie und sie gefiel, das sah er deutlich. Nicht frei von Eitelkeit, zeigte er sich gerne mit der aparten jungen Frau in angeregtem Gespräch.
Das Haus, ja. Ein Juwel. Leopolds Mutter Gabriele von Fechter, Erbin des steinreichen Privatbankiers Moritz von Fechter, habe es nebst erlesenen Kunstgegenständen und einem beträchtlichen Aktienvermögen als Mitgift in die Ehe mit dem brillanten, aber mittellosen Richard Bartenberg eingebracht. Schon in der Zwischenkriegszeit habe es als gesellschaftliches Zentrum ersten Ranges gegolten. Leopold und sein älterer Bruder Heinrich seien hier, in der oberen Etage, geboren worden.
»Ein ganzes Leben in ein und demselben Haus, von der Wiege bis…schwer vorstellbar«, sinnierte Amelie und sog den Duft des Flieders ein, der dicht neben ihr in einer Bodenvase stand.
Dunkler Flieder, dachte der Wirkliche, der eben dabei war, die Farbe der Blüten mit Amelies Augenfarbe zu vergleichen, und meinte
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