Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
»Weil du um Mitternacht gehst. Wie Aschenputtel.« Er lachte nicht. Er zuckte die Achseln und ging. »Auch noch humorlos«, rief sie ihm leise nach. Worauf sich dieses ›auch noch‹ bezog, hätte sie im Augenblick nicht zu sagen vermocht.
Denn in den Wochen, die Gregor in Wien blieb, hatten sie zu einer Routine gefunden, die zumindest sexuell befriedigend war. Gregor schien nichts anderes im Sinn zu haben, als Amelie beizuschlafen, und ruhte nicht eher, bis sie wenigstens einmal pro Abend ihren Höhepunkt erreicht hatte. Freilich fand, was Amelie als ›das Zwischenmenschliche‹ bezeichnete, zwischen Gregor und ihr nicht statt. Sie wusste nicht, was er während des Tages machte, ob er Freunde hatte und dieselben sah, und wie lange er in Wien bleiben würde. Auf alle ihre Fragen antwortete er vage. Er müsse die Sache mit der Wohnung in Ordnung bringen. Er sei den ganzen Tag auf Trab. Knüpfe Kontakte. Sei für seine Mailänder Arbeitgeber auch in Wien tätig. Wie, wollte Amelie wissen. Headhunting sei eine Sache, die man am besten nur mit den unmittelbar Beteiligten bespreche, erwiderte er kryptisch.
»Warum sind wir immer nur im Bett?«, fragte Amelie eines besonders schönen Abends. Sie hatte Sehnsucht nach frischer Luft und blühenden Bäumen. Sie wollte mit Gregor in einem Gasthausgarten sitzen, seine Hand auf ihrem Knie spüren und mit ihm über die Zukunft reden.
»Weil ich dich gerne vögle«, gab er unumwunden zu. »Oder weißt du etwas Besseres?«
Immerhin ließ er sich an den beiden folgenden Tagen erweichen, vor dem Aufstieg auf den Hängeboden mit Amelie aus dem Haus zu gehen. Der erste gemeinsame Ausgang fand am Abend statt. Sie fuhren in Gregors Wagen zum Heurigen. Amelie sah den schicken Oldtimer zum ersten Mal. Im Allgemeinen machte sie sich nichts aus Autos, aber von diesem war sie hingerissen. Ein blitzblanker schwarzer VW-Käfer, Kabrio, mit Sitzen aus hellem Schweinsleder. »Der ist ja toll«, rief sie aus und lachte glücklich wie ein Kind, als der Fahrtwind durch ihr Haar wirbelte. Am darauf folgenden Tag machte Amelie auf Gregors Vorschlag blau. Sie fuhren in ein Strandbad an der Donau. Amelie genierte sich, weil Gregor seine Hände auch in aller Öffentlichkeit nicht von ihr ließ. Als sie ihn abwehrte, war er beleidigt, stand wortlos auf und verschwand im Strandcafé. Amelie überlegte, ob sie ihm folgen sollte. Zunächst entschloss sie sich dagegen, aber als er nach einer halben Stunde immer noch nicht zurück war, ging sie ihm nach. Er saß an einem der Tische in dem kleinen, stickigen Café und war in ein Gespräch mit einem gut aussehenden Mann seines Alters vertieft. Als er Amelie kommen sah, verabschiedete er sich hastig von dem Mann, sprang auf, kam ihr entgegen, fasste sie am Arm und zog sie ins Freie.
»Wer war das?«, wollte Amelie wissen.
»Ein Jugendfreund«, murmelte er und zog sie weiter.
»Warum hast du uns nicht bekannt gemacht? Endlich jemand, der mir etwas über dich erzählen könnte…«
»Nichts, was ich dir nicht selber erzählen könnte.«
»Dann tu’s doch, du Sphinx!«
Darauf begann Gregor zu lachen. »Komm, wir fahren heim. Ich muss dir ganz rasch zeigen, wie es ist, mit einer Sphinx zu schlafen.« Auf der Rückfahrt kam Amelie noch einmal auf sein Verhalten in dem Strandcafé zu sprechen. Gregor blieb zugeknöpft. Als sie ihm Geheimniskrämerei vorwarf, wurde er ärgerlich, sprach kein Wort mehr mit ihr und setzte sie rüde vor ihrem Haustor ab.
»Jetzt langt’s«, sagte Amelie wütend, knallte das Tor hinter sich zu und war fest entschlossen, Gregor eine Weile nicht mehr zu sehen. Doch noch am selben Abend ließ sie ihn wieder ein.
Er hatte die Zadrazil herausgeläutet und sie umgarnt, indem er ihr erklärte, Amelie und er hätten einen Streit gehabt, hier sei er jetzt, um mit fünzig roten Rosen Vergebung zu erflehen. Alles hänge nur von ihr, der Frau Zadrazil ab, wenn sie ihm nicht Zugang zum Salettl verschaffe, sei er verloren. Die Hausmeisterin sah den überwältigend großen Rosenstrauß, sah vor sich den zerknirschten hübschen Menschen, der endlich erkannt hatte, dass er auf ihr Wohlwollen angewiesen war, und ließ ihn ein. Als Amelie ahnungslos die Tür öffnete, über der roten Blumenpracht Gregors verführerischen Mund erblickte und dieser aussprach, was er bisher noch nie zu ihr gesagt hatte, war’s um sie geschehen. »Ich liebe dich, Amelie«, sagte Gregor. Was dazu führte, dass die folgende Nacht sie nicht bloß befriedigte,
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