Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
begegnet, seine Großeltern sind ebenfalls verstorben. Er steht allein auf der Welt«, sagte sie nahezu schroff.
Josef Lenz blieb gelassen. »Ein Grund mehr, ihm zu zeigen, dass du nicht allein auf der Welt stehst«, sagte er ruhig. »Ich wüsste es zu schätzen, wenn du ihn bald einmal in unser Haus brächtest.«
»Ist gut Vater. Demnächst in diesem Theater«, scherzte Amelie, um ihre Ruhe zu haben.
Als Gregor Ende Mai endlich wieder in Wien war, schlug sie ihm einen Besuch in ihrem Elternhaus vor. Er lehnte rundweg ab. »Ich gehe nicht auf Freiersfüßen, Baby. Ich lasse mich auch nicht vorführen wie ein Tanzschulflirt, dafür bin ich zu erwachsen.« Es klang kalt. Als er sah, dass Amelie auf seine Worte mit leiser Bestürzung reagierte, fügte er schmeichelnd hinzu: »Ich will nicht deine Eltern, ich will dich.«
Dass Gregor sie nach wie vor wollte, daran ließ er keinen Zweifel. Am Tag vor seiner Ankunft hatte er sie angerufen, er sei auf dem Rückweg nach Wien, diesmal mit dem Auto, er könne es kaum mehr erwarten, sie nackt in seinen Armen zu halten. Ob man sich zur Abwechslung bei ihr lieben könne? Die Wohnung in der Wohllebengasse sei bereits einem Makler zur Vermietung übergeben.
Er hatte das Salettl noch nie zuvor gesehen, zeigte sich davon entzückt, und erforschte es ungeniert bis in den letzten Winkel. Vor allem der Hängeboden hatte es ihm angetan. »Wer kam auf diese grandiose Idee?«, wollte er wissen, als sie zum ersten Mal gemeinsam im »Orient« lagerten.
»Mein Freund Uli.« Amelie lächelte, weil sie sich über seine offensichtliche Begeisterung freute.
»Du hast einen Freund?«, erwiderte er mit gespielter Strenge.
»Einen? Hunderte!«, scherzte Amelie. »Der Erfinder des Hängebodens ist mein ältester. Er ist Bühnenbildner. Er lebt in einer festen Beziehung, ist schwul, und möchte dich gerne kennen lernen.«
»Huch«, machte Gregor, »da werde ich mich umstellen müssen.« Behände rollte er Amelie auf den Bauch und strich anzüglich über ihren Hintern.
Seine indezente Art stieß sie ab. Ärgerlich befreite sie sich von seiner Hand. Gregor merkte, dass er einen Fehler begangen hatte. Er fand zwar kein Wort der Entschuldigung, aber er bemühte sich redlich, den unguten Eindruck zu verwischen. Es dauerte eine Weile, ehe Amelie sich seinem Liebesspiel ergab. Aber diesmal vertrieb es ihre Gedanken nicht vollends, und die Euphorie der ersten Male stellte sich nicht ein.
Gregor verließ sie am nächsten Morgen. Als Amelie eine Stunde später den Hof überquerte, um in den Laden zu gehen, wurde sie von der Zadrazil abgepasst. Scheinbar absichtslos verharrte die Hausmeisterin im offenen Tor zur Straße.
»Ah, Fräu’n Lenz!«, säuselte sie und wartete Amelies Morgengruß ab, ehe sie wie ein Raubvogel auf die Beute niederschoss. »G’heat der Herr zu Ihna, der heit fria aus’n Salettl kommen is?« Als Amelie wohl oder übel nickte, kam sie zur Sache. »Oiso wissen S’, der Piefke, der Dokta, der woa a groba Klotz, aber der woa mir ban Oasch liaba wia der Neiche.«
Amelie war unangenehm berührt, sie gab ein schwächliches »Ach« von sich und wollte sich aus dem Staub machen. Aber Josefine Zadrazil hielt sie so lange am Ärmel fest, bis sie den Stab über Gregor Freytag gebrochen hatte. »A hochnosata Mensch is des, Fräu’n Lenz. I steh do, in der Fria, wia jetz a, er kummt daher, griaßt net, i frag eam, was er do wü, in den Hof, er gheat jo schließlich net hierher, oder? ›Das geht Sie gar nichts an, kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten‹, sogt mia der Pimpf und geht. Oiso wissen S’, Fräu’n Lenz…«
Als Gregor am Abend wiederkam, brachte Amelie die Beschwerde der Frau Pepi zur Sprache und bat ihn, nett zu ihr zu sein. Es sei in ihrem und seinem Interesse.
»Wieso in meinem?«, wollte Gregor wissen.
»Weil du offensichtlich die Absicht hast, in Zukunft hier aus- und einzugehen«, antwortete Amelie süffisant.
Erstaunt riss Gregor die Augen auf, fasste sich aber schnell wieder. »Keine Sorge«, sagte er locker, »ich bleibe nicht mehr über Nacht. Ich habe mir heute eine Pension gesucht. Es ist mir klar, dass ich nicht mit Sack und Pack bei dir einziehen kann.«
Von nun an tauchte er jeden Abend im Salettl auf, um sich ein paar Stunden lang mit Amelie im »Orient« zu wälzen und wieder zu verschwinden.
»Aschenputtel«, zischte ihm Amelie eines Nachts, als sie ihn zur Tür brachte, ins Ohr. Als Gregor sie misstrauisch ansah, musste sie lachen.
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