Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
der University of California hat in seinen Studien mit Hilfe von Funkhalsbändern nachgewiesen, daß die Aktivität der Coyoten im Becken von Los Angeles zu bestimmten Zeiten auffällig nachläßt, die sich mit den starken Verkehrsaufkommen am Morgen und am späten Nachmittag decken. Dies ist überaus erstaunlich: Man könnte meinen, die Coyoten studieren uns.
    Das Problem sind wir, schlicht und einfach. In unserer Blindheit, unserer artspezifischen Arroganz schaffen wir Nischen, und Tiere wie der Waschbär, das Opossum, der Star und eine Unmenge von anderen - einheimischen wie importierten - Spezies werden sie sofort wieder füllen. Der in den Städten lebende Coyote ist größer als sein wilder Vetter, er ist aggressiver und zeigt weniger Scheu vor den Menschen, die ihn verhätscheln und ermuntern - und die in seliger Unwissenheit, was die Mechanismen der Natur anlangt, ihn tatsächlich auch noch mit ihren Küchenabfällen verköstigen. Die verheerenden Folgen zeigen sich in der enormen Mortalität unter den kleineren Haustieren der Wohngebiete an den Rändern von L. A. und auch in den einstweilen noch seltenen, aber zunehmend unvermeidlichen Angriffen auf Menschen.
    Letztes Jahr hatte ich die unendlich traurige Aufgabe, die Eltern von Jennifer Tillman zu interviewen, des sechs Monate alten Babys, das auf der Terrasse der Tillmans direkt aus der Wiege geraubt wurde, in den Hügeln von Monte Nido, nicht weit von meinem eigenen Wohnort. Der Coyote, ein gesundes, vier Jahre altes Weibchen mit mehreren Welpen, war auch tagsüber ein regelmäßiger Gast in der Gegend gewesen, herbeigelockt von irregeleiteten Anwohnern, die sich angewohnt hatten, dem Tier am Rand ihrer Rasenflächen kleine Bissen hinzulegen.
    Aber man verzeihe mir: ich will hier keine Vorträge halten. Schließlich dient meine Pilgerreise ja dem Schauen des Wunders, der Beschäftigung mit dem Unendlichen, und nicht dazu, einzugrenzen und das Unkontrollierbare, Unwägbare und Verborgene kontrollieren zu wollen. Wer weiß, welch revolutionäre Absichten der Evolution der Coyote verkörpert? Oder die Krötenechse, oder jede andere Kreatur? Und weshalb sollten wir uns anmaßen oder auch nur wünschen, den Status quo bewahren zu wollen? Dennoch muß zweifellos etwas unternommen werden, wenn wir die Hoffnung auf harmonische Koexistenz mit diesem vorwitzigen Vorstadt-Killer nicht aufgeben wollen. Fallenstellen jedenfalls ist absolut sinnlos - selbst wenn man es in jedem Garten des County täte -, das haben zahllose Untersuchungen gezeigt. Die Population würde einfach die Nachkommenzahl erhöhen, um die Lücken zu schließen: die Weibchen haben dann Würfe von sieben, acht oder noch mehr Jungen, wie es auch in Zeiten des Überflusses der Fall ist - und durch unser Mitwirken dürften diese Zeiten dem Coyoten ohnehin schon endlos vorkommen.
    Bedauerlicherweise wird bereits zum Gegenschlag ausgeholt. Und es sind nicht nur die Lobbys der Viehzüchter, Jäger und ähnlicher Interessen, die den Gesetzgeber bedrängen, den Schutz des Coyoten einzuschränken, sondern der durchschnittliche Eigenheimbesitzer, der sein geliebtes Haustier verloren hat. Es sind intelligente, humanistisch gebildete Menschen, so wie die Leserschaft dieser Zeitschrift, die Schutz und Bewahrung der Natur befürworten. Einst schlichtweg als »Geziefer« eingestuft, war sogar ein Kopfgeld auf den Coyoten ausgesetzt: Regierungsstellen zahlten bares Geld für jedes Fell oder für ein Paar Ohren - daraufhin zog er sich in die Einöde der Berge und Wüsten zurück. Doch diese Einöden besiedeln jetzt wir, mit unseren verschwenderischen Wassermengen (sogar eine Vogeltränke ist für den Coyoten ein Segen), unseren wohlgenährten Haustieren und offenen Mülltonnen - und unserem recht dürftigen Verständnis für die wilde Natur um uns herum. Wir können den Coyoten weder ausrotten noch durch Zäune ausgrenzen, nicht einmal mit zweieinhalb Metern Maschendraht - wie dieser betrübte, aber durch Schaden klüger gewordene Pilger bestätigen kann. Respektieren wir ihn als das wilde Raubtier, das er ist. Lassen wir unsere Kinder und Haustiere nicht mehr ins Freie. Lassen wir keine noch so geringfügigen Nahrungsmengen an ihm zugänglichen Orten.
    Der kleinen Jennifer wurde das Genick gebrochen, durchgebissen wie einem Kaninchen: dies ist die Art des Coyoten. Versuchen wir jedoch nicht, die Maßstäbe des
    Menschen auf die Welt der Natur zu übertragen, jene Welt, die für jede existierende Art,

Weitere Kostenlose Bücher