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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Woodland Hills geholt hatte, und das Brotmesser steckte in der Rinde wie eine Säge im Baum. »Was für eine ›Sache mit der Mauer‹?« fragte er, obwohl sie sah, daß er es ganz genau wußte.
    Sie betrachtete das Messer, bis die Scheibe abgeschnitten war, dann antwortete sie. »Jack will eine Mauer hochziehen, um ganz Arroyo Blanco. Zwei Meter zwanzig, Hohlblocksteine mit Feinverputz. Um Einbrecher fernzuhalten.« Sie machte eine Pause und sah ihm fest in die Augen, so wie sie es bei einem unwilligen Verkäufer tat, wenn sie ein niedriges Angebot abgab. »Und Coyoten.«
    »Aber das ist doch Unsinn.« Delaneys Augen blitzten hinter der Brille auf. Vor Aufregung überschlug sich seine Stimme. »Wenn ein Drahtzaun sie nicht abhält, was um Himmels willen erwartest du dann ...«
    »Sie können nicht jagen, was sie nicht sehen.« Sie warf die Serviette neben ihren Teller. In ihre Augen traten Tränen. »Dieses Vieh hat Osbert belauert, durch den Zaun hindurch, als wäre der gar nicht dagewesen, und versuch ja nicht, mir das auszureden!«
    Delaney wedelte mit der Brotscheibe wie mit einer weißen Fahne. »Tu ich ja gar nicht, nein. Da ist bestimmt was dran.« Er atmete tief durch. »Sieh mal, mir macht die Sache genauso viel aus wie dir, aber laß uns einen Moment lang vernünftig sein. Der Sinn dieser Wohngegend liegt doch darin, daß man hier nahe der Natur lebt, deshalb haben wir uns hier eingekauft, deshalb haben wir uns das letzte Haus in der Straße ausgesucht, am Ende der Sackgasse ...«
    Ihre Stimme klang kalt, geradezu metallisch vor Zorn. »Nahe der Natur«, fauchte sie ihn an. »Du siehst ja, was wir davon haben. Und zu deiner Information: Wir haben uns hier eingekauft, weil es ein Supergeschäft war. Hast du überhaupt ansatzweise eine Ahnung, wie sehr dieses Haus im Wert gestiegen ist, seit wir es gekauft haben - auch jetzt noch, bei der flauen Marktlage?«
    »Ich sage doch nur, daß es wenig Sinn hat, hier oben zu wohnen, wenn man keine zwanzig Meter weit aus dem Fenster sehen kann - da könnten wir doch ebensogut in eine Apartmentanlage ziehen. Ich will zur Tür hinausgehen und sofort in den Bergen sein können, in der Wildnis - ich weiß nicht, ob du es schon gemerkt hast, aber damit verdiene ich mein Geld. Verdammt, dieser idiotische Zaun ist schlimm genug, und das beschissene Tor auf der Zufahrtsstraße ... du weißt genau, wie sehr ich dagegen war, du weißt es.«
    Er legte das Brot auf den Teller, ohne abgebissen zu haben. »Hier geht es nicht um Coyoten; mach dir doch nichts vor. Es geht um Mexikaner, es geht um Schwarze. Es geht um Ausgrenzung, Rassentrennung und Haß. Jack sind die Coyoten doch vollkommen egal.«
    Sie verlor die Beherrschung. Kampflustig und wütend beugte sie sich vor und kanalisierte ihre schlechte Laune auf diesen schwachen, naiven, wirklichkeitsfremden, unmöglichen Mann, der ihr gegenüber am Tisch saß - er war verantwortlich, er war daran schuld, er war der große Beschützer von Coyoten, Schlangen, Wieseln und Taranteln und was sonst noch alles da draußen herumwuselte, und jetzt versuchte er sich hinter der Politik zu verstecken. »Nie wieder«, schrie sie, »will ich eine von diesen Bestien auf meinem Grundstück sehen. Eher ziehe ich weg, das sage ich dir. Von mir aus können sie die Berge plattwalzen und zubetonieren. Zum Teufel mit der Natur. Und mit der Politik auch.«
    »Du bist verrückt«, sagte er, und sein Gesicht war häßlich dabei.
    »Ich? Das ist ja zum Totlachen. Was glaubst du, was das hier ist - eine Art Nationalpark? Es ist eine Wohnsiedlung, zu deiner Information, ein Ort, wo man Kinder großzieht und alt werden kann - in einer exklusiven, privaten, hochbegehrten Gegend. Und was, denkst du, wird wohl mit den Grundstückspreisen hier passieren, wenn deine räudigen Coyoten anfangen, auf Kinder loszugehen - das kommt ja wohl als nächstes, oder? Na? Stimmt's nicht?«
    Er verzog gequält das Gesicht. »Kyra, Liebes, du weißt genau, daß es nicht so ist ... dieser Vorfall in Monte Nido, das war ein unseliger Ausrutscher, eine Chance von eins zu einer Million, und das ist auch nur deshalb passiert, weil diese Leute die Tiere gefüttert hatten ...«
    »Erzähl das den Eltern. Erzähl es Osbert. Und Sacheverell, vergiß nicht Sacheverell.«
    Das Essen war gelaufen. Und der Rest des Abends auch. Delaney verbot ihr, bei dem Mauer-Komitee mitzuarbeiten. Sie wollte es trotzdem tun. Dann nahm sie das Wohnzimmer in Beschlag, legte ihre Entspannungskassetten ein und

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