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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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weil sie dann besonders heftig mit den Hüften wackelte, aber sie hatte nie einen Gedanken daran verschwendet - sie war immer schon sportlich gewesen, ein richtiger Wildfang, und sie erinnerte sich auch an keine Zeit, in der sie nicht in Eile gewesen wäre. Sie ging zuerst die Nordseite des Hauses ab, nahm den Plattenweg beinahe im Laufschritt, drehte ständig den Kopf hin und her, um auch nicht das kleinste Detail zu übersehen. Erst als sie um die Ecke bog und zur Rückseite des Hauses kam, sah sie es, und auch da hielt sie es anfangs für einen Effekt des Lichts.
    Sie blieb stehen, als hätte jemand an einer Leine gezogen. Zuerst war sie durcheinander, dann empört, und zum Schluß hatte sie einfach nur Angst. Quer über die Hausmauer gekrakelt, in zwei Meter hohen gesprühten Lettern, stand dort eine Nachricht für sie. In schwarzer Farbe, die im Abendlicht glühte, zehn geschwungene Buchstaben auf spanisch:
    Pinche Puta
    Die Sonne hing tief und fern, ein schmelzendes Klümpchen am Himmel, dennoch war es heiß. Delaney saß auf der Rückseite des Gemeinschaftszentrums, wo er an der Wand ein bißchen Tennis trainiert hatte. Jetzt ruhte er sich auf den Stufen aus, eine mit kalten Tropfen überzogene Cola-light-Dose in der Hand, als er sich des Gemurmels bewußt wurde, das aus dem Raum hinter ihm drang. Die Jalousien waren herabgelassen, aber das Fenster stand einen Spaltbreit offen, und während die Sonne auf den Scheiben blitzte und der unvermeidliche Truthahngeier sich auf den steten Aufwinden hoch in die Lüfte schraubte, hörte er nicht mehr Gemurmel, sondern zwei deutlich unterscheidbare Stimmen, und Delaney erkannte, daß er Jack jr. und einen unbekannten Freund an einem trägen Spätsommernachmittag bei einem tiefgründigen Teenagergespräch belauschte.
    »So-so, auf die Cal State willst du gehen?« fragte Jack jr.
    »Klar. 'Ne bessere Uni war nicht drin - bei meinen Noten.« Zynisches Kichern. Doppeltes Kichern.
    »Hält man's in Northridge überhaupt aus? Was ich so höre, ist das 'ne Art Klein-Mexiko oder so.«
    »Jaa, du sagst es: ein beschissenes Klein-Mexiko, volles Rohr. Aber weißt du, was die gute Nachricht ist?«
    »Was denn?«
    »Die mexikanischen Weiber.«
    »Erzähl kein' Scheiß.«
    Pause. Schlürfgeräusche. Ein unterdrückter Rülpser.
    »Echt wahr, Alter - die blasen dir einen, daß dir dein Ding schier platzt.«
    »Erzähl kein' Scheiß.«
    Wieder eine Pause, eine lange, nachdenkliche. »Nur ein Problem gibt's dabei ...«
    »Ja, und welches?«
    »Die Fünf-Kilo-jährlich-Regel.«
    Die Andeutung eines Lachens, etwas unsicher, aber auf alles gefaßt.
    »Und die wäre?«
    »Mit sechzehn« - Schlürfen, Pause - »da hauen sie dich glatt um, aber von da an nehmen sie jedes Jahr fünf Kilo zu, bis sie aussehen wie ein Kartoffelsack mit Sonnenbrand - und wer will sein Ding schon in so was reinstecken, und wenn's nur der Mund ist?«
    Delaney stand auf. Das war die Pointe, und sie war begleitet von einem virtuosen Duett aus hämischem Gekicher. Meine Herren, dachte er, und seine Beine fühlten sich plötzlich schwer an. Das war Jacks Sohn. Ein Junge, der es besser wissen sollte, der alle Vorzüge genoß und hier in Arroyo Blanco aufgewachsen war. Delaney ging davon, schüttelte die Verspannung aus seinen Beinmuskeln, klopfte sich gedankenverloren mit dem Tennisschläger gegen das Bein. Aber vielleicht lag genau darin das Problem, und sein nächster Gedanke galt Jordan: Würde der sich auch so entwickeln? Er kannte die Antwort, noch ehe er die Frage formuliert hatte. Natürlich würde er auch so, und dagegen konnten weder Kyra noch Delaney noch irgend jemand anders etwas tun. Das hatte er Kyra ja auch bei ihrer Diskussion über diese Mauer-Geschichte erklärt - ja, vielleicht sperrst du die damit aus, aber sieh genau hin, was du zugleich damit einsperrst. Sie waren vergiftet. Die ganze Stadt war vergiftet, ganz Kalifornien. Er wünschte, er wäre in New York geblieben.
    Deprimiert und ziemlich ratlos nahm er den Heimweg durch die vertrauten Straßen, all die vias und calles und avenidas seiner exklusiven privaten Wohngegend in den Bergen vor Los Angeles, die ausschließlich aus Eigenheimen im spanischen Missionsstil mit hellroten Ziegeldächern bestand, wo man intolerante Kinder hatte, aber dafür stattliche Einkommen, und wo die Grundstückspreise unverhältnismäßig rasch anstiegen. Es war vier Uhr nachmittags, und er wußte nichts mit sich anzufangen. Jordan war noch bei seiner Großmutter, Kyra

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