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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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überhaupt, Mann?«
    Delaney schwitzte. Er fühlte sich unbehaglich. Er war gereizt. Der Mann war gut zehn Zentimeter größer als er, und er zeigte Delaney deutlich, wie unbeeindruckt er war - er verspottete ihn, verhöhnte Delaney in seiner eigenen Siedlung, hier in der Straße, in der er wohnte. Im Naturschutzpark campieren war eine Sache, aber das hier war etwas völlig anderes. Und was hatte er in dieser Tasche, und warum ging er über den Rasen der Cherrystones, wenn die Cherrystones gar nicht zu Hause waren?
    »Ich will wissen, was Sie hier eigentlich machen«, sagte Delaney, betrachtete dabei die Tasche und stellte sich das Silberbesteck der Cherrystones darin vor, ihre Videokamera, Seldas Schmuck. »Das hier ist Privatbesitz. Sie haben hier nichts zu suchen.«
    Der Mann sah mitten durch ihn hindurch. Er war gelangweilt. Delaney war nichts für ihn, ein kleines Ärgernis, eine Mücke, die sein Gesicht umschwirrte.
    »Ich rede mit Ihnen«, sagte Delaney, und bevor er nachdenken konnte, packte er den Unterarm des Mannes, knapp über dem Handgelenk.
    Die hellbraunen Augen sahen auf Delaneys Hand hinunter, dann in sein Gesicht. In diesem Blick lag nichts als Geringschätzung. Mit einem abrupten, heftigen Ruck riß der Mann seinen Arm los, richtete sich ein Stück auf und spuckte verächtlich zwischen Delaneys Füße. »Ich hab hier Fluxettel«, sagte er, schrie es fast hinaus.
    Delaney schwebte auf der Woge des Moments, er zitterte vor Wut, zu allem bereit. Der Mann war ein Dieb, ein Lügner, der stinkende Besitzer eines stinkenden Schlafsacks im staatlichen Wald, ein Eindringling, ein Umweltverschmutzer, ein Mexikaner. »Reden Sie keinen Blödsinn!« brüllte er. »Ich rufe die Polizei. Ich weiß, was Sie hier wollen, ich kenne Sie genau, mir machen Sie nichts vor!« Delaney sah sich nach Unterstützung um, nach einem Auto, einem Kind auf einem Fahrrad, nach Todd Sweet, nach irgendwem, aber die Straße war menschenleer.
    Die Miene des Mexikaners hatte sich verändert. Das spöttische Grinsen war jetzt verschwunden und einem härteren, unendlich härteren Ausdruck gewichen. Er hat ein Messer, dachte Delaney, eine Pistole, und es überlief ihn eiskalt, als der Mann in seine Umhängetasche griff, er verkrampfte sich so sehr, daß er kurz davor war, ihn anzuspringen, niederzuwerfen, auf Leben und Tod mit ihm zu kämpfen ... doch dann starrte er auf ein banales weißes Blatt Kopierpapier, auf dem schwarze Buchstaben wimmelten. »Fluxettel«, knurrte ihn der Mann an. »Ich trag diese Fluxettel hier aus.«
    Delaney wich einen Schritt zurück, so am Boden zerstört, daß er nichts sagen konnte - was geschah bloß mit ihm, was wurde aus ihm? -, und der Mann drückte ihm das Flugblatt in die Hand und stapfte über den Rasen davon. Verstört sah Delaney zu, wie der Mexikaner weiterging, die Schultern wütend und empört vorgeschoben, sah ihm zu, wie er an Delaneys eigenes Haus herantrat und ein Flugblatt in den Schlitz zwischen dem Fliegengitter und dem weißen Holzrahmen der Tür steckte. Jetzt erst blickte Delaney auf das Papier in seiner Hand. Wichtige Mitteilung des Vorsitzenden der Eigentümergemeinschaft Arroyo Blanco Estates, stand da in großen Blockbuchstaben. Und darunter: »Ich bitte Sie alle, an der Versammlung am Mittwochabend teilzunehmen, denn dabei geht es um eine Entscheidung, die von größter Bedeutung für unser aller Sicherheit und Wohlergehen ist ...«

7
    Die erste Viertelstunde war gar nicht so schlimm. América fragte sich nicht, wozu sie auf der Betonmauer vor dem Postgebäude von Canoga Park herumsaß, dachte nicht weiter darüber nach. Sie war müde, die Füße taten ihr weh, ihr war heiß und auch ein wenig übel, und so ließ sie in einer Art Trance die rege Betriebsamkeit der Stadt um sich herum brodeln. Es war erstaunlich, all dieses Leben. Die Gehsteige waren, anders als sie erwartet hatte, nicht überfüllt, es herrschte nicht so ein Gedränge wie auf dem Markt von Cuernavaca oder von Tepoztlán, aber es gab diesen steten Strom von Menschen, die ihren Geschäften nachgingen, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, hier zu wohnen. Die Menschen führten Hunde an der Leine, fuhren auf Fahrrädern, schoben Kinderwagen, trugen ihre Einkäufe in großen Papiertüten herum, die sie sich gegen die Brust preßten; sie rauchten, plauderten, lachten und warfen den Kopf in den Nacken, um Pepsi-Cola aus rot-weiß-blauen Dosen zu trinken, auf denen »Uh-huh!« stand.
    So müde, scheu und unsicher

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