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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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vergrub sich in ihrer Arbeit. In dieser Nacht schlief sie in Jordans Zimmer und in der nächsten auch.
    All das ging ihr durch den Kopf, als sie den Code eintippte, das Tor aufschwingen ließ und dann in die lange, vertraute Auffahrt zum Haus der Da Ros einbog. Das Tor schloß sich automatisch hinter ihr, und sie spürte das flaue Gefühl im Magen, aber es war nicht so schlimm wie sonst - sie hatte es viel zu eilig, um sich dafür Zeit zu nehmen, außerdem dachte sie über Delaney und die Mauer und alle möglichen anderen Dinge nach. Allerdings traf sie die inzwischen gewohnte Vorsichtsmaßnahme, bei Darlene anzurufen, der Sekretärin im Maklerbüro, um ihr mitzuteilen, daß sie soeben beim Da-Ros-Haus eingetroffen sei. Sie hatten ein Limit von fünfzehn Minuten verabredet - kein Umherstreifen mehr, keine Tagträumereien, keine Zeit, sich vom Zauber des Hauses gefangennehmen zu lassen: Falls Kyra innerhalb dieser Viertelstunde nicht wieder anrief, um mitzuteilen, daß sie jetzt wieder losfahre, würde Darlene sofort die Polizei hinschicken.
    Trotzdem, während Kyra langsam die Auffahrt entlangrollte, war sie sich aller Dinge rings herum intensiv bewußt - es war jetzt fast drei Wochen her, aber sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, das sie an jenem Abend befallen hatte, als ihr ihre enorme Verletzlichkeit hier draußen, fernab von allem, klar geworden war. Und irgendwie wollte sie es auch nicht abschütteln: Ließ man sich einen Moment lang ablenken, schon war man Statistik.
    Das Haus kam jetzt zwischen den Bäumen in Sicht, in den Fenstern spiegelte sich die Sonne. Ihre Stimmung hob sich, als sie es sah. Das Haus war schon etwas Besonderes, keine Frage, ein einzigartiges Objekt - das Märchenschloß, das man vor sich sieht, wenn man die Augen schließt und träumt. Und es gehörte ihr so wie noch kein anderes Haus, Klotz am Bein oder nicht. Sie hatte ihn tausendmal bei Kunden auf Häusersuche gesehen, diesen Blick, dieses schlagartige Wiedererkennen. Nun, hier erkannte eben sie ihren Traum wieder, dies war das Haus, das sie kaufen würde, wäre sie momentan auf Häusersuche. Und ja, Delaney, dachte sie, ich würde es mit einer zwei Meter zwanzig hohen verputzten Hohlblockmauer einfassen, gleich als allererstes.
    Elegant wendete sie den Wagen auf der Einfahrt, so daß sie in die Richtung sah, aus der sie gerade gekommen war, und bevor sie den Motor abschaltete, warf sie einen langen, durchdringenden Blick über die Rasenflächen und zu den Bäumen am Rande des Grundstücks. Dann ließ sie das Fenster herunter und lauschte. Stille. Es ging kein Wind, nirgendwo war ein Laut zu hören. Die Büsche und die Bäume standen vor den Hügeln, als wären sie aufgemalt, flach und zweidimensional, und die Hügel selbst schienen so leblos wie die Gebirge auf dem Mond. Kyra stieg aus und ließ zur Vorsicht die Autotür hinter sich offen.
    Es wird nichts passieren, sagte sie sich, während sie den Fußweg entlangschritt. Das waren nur zwei Wanderer gewesen. Und wenn nicht, dann waren sie jetzt jedenfalls weg und würden nicht wiederkommen. Sie konzentrierte sich auf die kleinen Dinge: wie ordentlich das Gras zwischen den Steinen des Fußwegs von Hand geschnitten war, wie sorgfältig die Blumenbeete gemulcht und die Sträucher gestutzt waren. Sie sah, daß Oleander und Berglorbeer blühten, auch das Beet mit Clivien vor den Fenstern der Bibliothek. Alles war so, wie es sein sollte, nichts war falsch, nichts vergessen worden. Sie nahm sich vor, dem Gärtner ein Kompliment zu machen.
    Auch im Innern: alles in Ordnung. Alle Alarmkreise waren unangetastet, die Zeitschaltuhr hatte bereits das Licht in Küche und Eßzimmer eingeschaltet. Auf dem Tisch in der Halle lagen keine Maklerkarten, und das war eine Enttäuschung, eine ständige Enttäuschung, aber es brauchte eben den richtigen Kunden, der dieses Haus zu schätzen wissen würde, aber irgendwann würde es weggehen, ganz bestimmt - vor allem wenn sie Patricia Da Ros überreden konnte, beim Preis etwas runterzugehen. Sie sah auf die Uhr: fünf Minuten waren schon vergangen. Den Rundgang durchs Haus hielt sie kurz - kein Grund zur Pedanterie, wenn sowieso niemand dagewesen war -, dann kehrte sie in die Eingangshalle zurück, tippte den Alarmcode ein und trat hinaus auf die Veranda. Noch ein Gang ums Haus, dann konnte sie wieder fahren.
    Kyra machte immer große Schritte, selbst in hohen Schuhen - es war ihr natürlicher Gang. Delaney hatte ihr einmal gesagt, er finde das sexy,

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