América
Blendung zusammensetzte und üblicherweise der Bitte um einen »kleinen Gefallen« oder um ein »winziges Darlehen« voranging. »Sagen Sie«, sagte Todd Sweet endlich, »wie wäre es, wenn ich heute abend bei Ihnen vorbeikomme, dann könnten wir vielleicht einen Text aufsetzen, gemeinsam, meine ich - also, ich sag's nur ungern, aber ich bin kein großer Schreiber ...«
In diesem Augenblick durchflutete Delaney etwas - direkt auf der Straße, im Schein der Sonne: ein langsamer Wellenschlag aus Scham und Angst, ein bitteres brennendes chemisches Sickern, das die Erinnerung an den Mexikaner am Straßenrand, das gestohlene Auto, Sunny DiMandia, Jim Shirley, Schreckensmeldungen im Lokalteil und an den ganzen Rest mitschwemmte. Zugleich hatte er die Vision von hungernden Horden, die an der Grenze Schlange standen, von Verbrecher- und Vergewaltigerbanden in ihren Ghettos, von der ganzen Welt als einem einzigen grenzenlosen Ghetto, und er spürte, wie das zurückschwingende Pendel bedrohlich auf ihn zukam. Es würde Krieg in seinem Wohnzimmer geben, wenn er sich aktiv gegen diese Mauer engagierte, Krieg mit seiner Frau und mit Jack und dessen Triumvirat Cherrystone, Shirley und Flood. Wollte er das riskieren? War ihm die Mauer wirklich so wichtig?
Todd Sweet sah ihn prüfend an, sein Blick war jetzt viel härter, durchdringender, die Maske rutschte langsam ab. »Wenn es zuviel Arbeit macht«, sagte er, »ich meine, wenn Sie lieber in einer eingemauerten Stadt wohnen möchten wie Prinz Prospero in der Maske des Roten Todes, dann steht Ihnen das natürlich frei, ich hatte nur angenommen ...« Er ließ den Satz in der Luft hängen, in seiner Stimme schwang ein leiser, gereizter Unterton mit.
»Nein, nein, das ist nicht das Problem«, sagte Delaney, und warum sollte er Kyra und Jack eigentlich nicht trotzen und für etwas eintreten, woran er glaubte? Aber dann sah er wieder das schwarze Phantom-Auto vor sich, das mit den wummernden Lautsprechern und den getönten Scheiben, und er zögerte. »Okay«, sagte er, »ich ruf Sie an«, und wandte sich ab.
»Sieben-eins-drei, zwei-zwei-acht-null«, rief ihm Todd Sweet hinterher, aber er hörte nicht hin, sein Verstand war betäubt von dem Zwiespalt, in dem er steckte. Er ging weiter, ohne die Welt rings herum wahrzunehmen, niedergeschlagen, ohne Hund, allein. Nichts rührte sich. Alles war nur Sonne. Und dann bog er in seine eigene Straße ein, den Piñon Drive, und sah, daß sich doch noch Leben regte: eine Gestalt bewegte sich durch die statische Landschaft im Glast der spätsommerlichen Hitze. Delaney war nicht sicher, aber es schien eine zweibeinige Gestalt zu sein, ja, ein Mensch, der dort durch die flimmernde Hitze glitt wie eine Fata Morgana, die Beine machten im Gegenlicht Scherenbewegungen. Der Mann trug eine Umhängetasche aus weißem Stoff über der Schulter, wie Delaney im Näherkommen sah, und er überquerte den Rasen der Cherrystones mit dem ebenso sorglosen wie schleichenden Gang des unbefugten Eindringlings - was er auch sein mußte, da Delaney zweifelsfrei wußte, daß die Cherrystones nach Santa Monica gefahren waren und nicht vor sieben zurück sein würden. Und dann kam er noch näher und bemerkte etwas anderes, etwas, das ihn wie ein Schlag traf: der Mann war Mexikaner. »He!« rief Delaney ihn an und beschleunigte nun seine Schritte. »Kann ich Ihnen helfen?«
Der Mann wirkte erschrocken, wirkte schuldbewußt - auf frischer Tat ertappt. Er blieb auf dem Rasen stehen und wartete, bis Delaney näher kam. Und jetzt erlebte Delaney die zweite Überraschung: er kannte ihn, er war sich ganz sicher. Es dauerte eine Minute, denn etwas fehlte im Gesamtbild, aber dann erkannte er ihn, auch ohne die Baseballmütze: es war der Wanderer, der illegale Camper, der Mann, der Delaney die erste Hälfte eines der schlimmsten Tage seines Lebens vermiest hatte. Und dann, in ebendiesem Augenblick des Wiedererkennens, fügten sich dem Netz plötzlich weitere Maschen hinzu: hatte Kyra nicht erzählt, der Mann, der sie vor dem Haus der Da Ros bedroht hatte, habe eine Mütze der San Diego Padres getragen, und zwar verkehrt herum? Währenddessen stand der Mann vor ihm und hielt seine Tasche fest. Er wich Delaneys Blick nicht aus, antwortete aber nicht.
»Ich sagte, kann ich Ihnen helfen?«
»Mir helfen?« echote er, und sein Mund öffnete sich zu einem breiten Grinsen. Er zwinkerte Delaney zu. »Klar«, sagte er, »klar, hombre, klar könn' Sie mir helfen.« Und dann: »Was ist los
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