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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Unterleib wie eine harte, heiße Hand, wie etwas, das auf einmal lebendig geworden war, und sein Herz pochte gegen die Rippen, und das Blut rauschte ihm in den Ohren. Das Licht erhellte den Raum explosionsartig, und Seldas Katze - ein riesiger Manx-Kater, der kaum von einer Wildkatze zu unterscheiden war - sprang von einem Stuhl und schoß in den Korridor davon. Delaney fühlte sich wie ein Dieb. Aber dann war er in der Dunkelkammer, der Film war in der Entwicklerdose, und das beruhigte ihn, so war es gut. Jederzeit, hatte Jack gesagt, wann immer du willst. Delaney war sich so sicher, was er diesmal vorfinden würde, daß er die Negative kaum ansah - irgend etwas war da drauf, schattenhafte Gestalten, verschwommenes kriminelles Tun -, er schnitt die restliche Filmschlange ab, ließ sie zu Boden fallen und machte Kontaktabzüge von den ersten sechs Bildern. Als er belichtet hatte, schob er das Papier ins Entwicklerbad und bekam seinen zweiten fotografischen Schrecken in dieser Woche: das war kein Mexikaner, der da entsetzt und mit offenem Mund ins Objektiv starrte, auf langen Beinen, die in glänzenden Lederstiefeln steckten, es war kein Mexikaner, der die Spraydose deutlich sichtbar in der großen weißen Hand hielt, kein Mexikaner hatte Haar von dieser Farbe und eine solche Frisur ...
    Es war Jack jr.
    Jack jr. und ein Komplize, den Delaney nicht erkannte, und da waren sie, sechsfach vervielfältigt auf einem Kontaktabzug, zum Leben erweckt, auf frischer Tat ertappt. Es war eine so totale Überraschung, wie sie Delaney noch nie erlebt hatte, und beinahe stoppte sie ihn. Beinahe. Er räumte langsam und methodisch auf, goß die Wannen aus, spülte sie ab und stellte sie auf das Regal zurück, wo Jack sie aufbewahrte. Dann legte er die Negative auf den Kontaktabzug und knüllte alles zu einem dicken Knäuel zusammen, den er tief unten im Mülleimer vergrub. Dieser Mexikaner war schuldig, so oder so, schuldig an so viel mehr als dem. Schließlich kampierte er da oben, oder? Er hatte Delaneys Auto demoliert. Hundefutter und Plastikplatten gestohlen. Und wer wußte, ob er nicht auch das Feuer gelegt hatte?
    Die Nacht war schwarz, absolut und undurchdringlich schwarz, aber Delaney wollte die Taschenlampe nicht benutzen - die Gefahr war zu groß, daß er sich damit verraten würde. Sobald er über die Mauer geklettert war, mußte er ohne das Licht der Außenlampen und der Weihnachtsbeleuchtung der Anlage auskommen, es gab nur noch die Nacht und den Regen. Der Geruch war aufdringlich und köstlich zugleich, ein Amalgam aus Gerüchen, ein ganzer Berg, der von den Toten auferstanden war. Geröllbrocken krachten in den mit Stahl ausgekleideten Abflußrohren grollend wie Donner, und überall das Geräusch von strömendem Wasser. Jeder winzigste Riß in der Erde war jetzt ein Spalt und jeder Spalt ein Rinnsal und jedes Rinnsal ein Bach. Delaney spürte, daß ihm der Schlamm bis zu den Knöcheln reichte. Seine Augen paßten sich, unendlich langsam, der Dunkelheit an. Er ging bergauf, das Rückgrat des Hangs entlang, auf demselben Weg, den damals der Coyote mit Sacheverell im Maul genommen hatte, aber seine Füße fanden keinen Halt. Wo vorher der weiße Staub und die roten Körner der Ameisenhügel eine dicke Schicht auf der ausgetrockneten Erde gebildet hatten, lag jetzt nur ein unsichtbarer, unendlich elastischer Film aus Schlamm. Delaney rutschte immer wieder aus, trotz der Geld-zurück-Garantie seiner Stiefel, und ehe er noch zwanzig Schritte gegangen war, kroch er auf Händen und Knien. Der Regen peitschte sein Gesicht, die Vegetation zerfiel unter dem hektischen Griff seiner Finger. Er kam voran, Meter um Meter, suchte immer wieder ebene Stellen, an denen er sich aufrichten und nach vorn spähen konnte, bevor er erneut abtauchte und auf allen vieren weiterkroch. Zeit bedeutete nichts. Das Universum war reduziert auf den Quadratmeter zerrissenen Himmels über ihm und den Schlick unter seinen Händen. Er war draußen, mittendrin, dem kalten schwarzen schlagenden Herzen der Welt so nahe, wie er ihm nur kommen konnte.
    Und dabei dachte er die ganze Zeit: Jetzt hab ich ihn, den Mistkerl, den Versicherungsbetrüger, den Feuerteufel - das Hochgefühl, das ihn erfaßte, war wie eine Droge, und diese Droge schloß alle Vernunft aus. Er dachte nicht eine Sekunde lang darüber nach, was er mit dem Mexikaner anfangen würde, wenn er ihn aufgespürt hatte - das war unwichtig. Alles war unwichtig. Wichtig war nur eins: ihn zu finden, ihn

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