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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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wären sie nichts weiter als Schafe mit buschigen Schweifen und spitzen Reißzähnen ... und er hatte sie gewarnt, oft genug. Man durfte nicht achtlos mit der Umwelt umgehen. Das ging einfach nicht. Erst letzte Woche hatte er eine halbvolle Pappschachtel mit Kentucky Fried Chicken hinter dem Haus der Dagolians stehen sehen - die gewachste, rotweiß gestreifte Verpackung mit dem Porträt des breit grinsenden Hühnermörders höchstpersönlich - und sich prompt auch auf der zweimal monatlich stattfindenden Versammlung der Grundstücksbesitzer zu Wort gemeldet, um etwas dazu zu sagen. Sie hatten ihm nicht einmal zugehört. Coyoten, Taschenratten, Hornissen, sogar Klapperschlangen - die konnten einem auf den Nerv gehen, sicherlich, aber die Natur war das geringste ihrer Probleme. Viel mehr Sorgen machten ihnen die Menschen. Die Salvadorianer, die Mexikaner, die Schwarzen, die Vergewaltiger, Bettler und Autodiebe, über die sie im Lokalteil bei Roggentoast und Kaffee lasen. Deshalb hatten sie ja die weite Fläche des San Fernando Valley und die Hügel der Westside verlassen, um hier oben zu leben, außerhalb der Stadtgrenzen und inmitten dieser traumhaften Szenerie.
    Coyoten? Coyoten waren putzige kleine Hundedinger, die den Sonnenuntergang anheulten, nur einer der vielen landschaftlichen Reize wie die Eichen, das Hartlaubgestrüpp und die schöne Aussicht. Nein, worüber Delaneys Nachbarn redeten, hin und her und immer wieder, als wäre es der Schlüssel zum Dasein, das waren Tore. Genauer gesagt, redeten sie über ein Tor. Das an der Zufahrtsstraße zu errichten wäre und rund um die Uhr mit einem Wächter bemannt sein sollte, um eben jene Vergewaltiger, Bettler und Autodiebe fernzuhalten, vor denen sie hierher geflüchtet waren. Klar. Und jetzt war der arme Osbert - oder Sacheverell - nichts weiter als Coyotenfrühstück.
    Diese Narren. Diese Idioten.
    Delaney packte einen Stock und fing an, methodisch auf das Gebüsch einzuschlagen.
    Das Gemeinschaftszentrum von Arroyo Blanco stand auf einer kleinen Anhöhe, die den Topanga Canyon Boulevard und die Privatzufahrt überragte, den Arroyo Blanco Drive, der von der Hauptstraße abzweigte und sich zwischen den Eichen in das gitterförmige Straßennetz der Siedlung hinaufschlängelte. Es war ein einstöckiges, weiß verputztes Gebäude mit hellrotem Ziegeldach, auch im spanischen Missionsstil, und war mit Küche, Bar sowie einem Bühnensaal mit Lautsprecheranlage und zweihundert Sitzplätzen ausgestattet. Der Saal war voll, als Delaney eintraf - es gab nur noch Stehplätze. Er hatte sich verspätet, weil Kyra länger im Büro geblieben war und das Mädchen seinen freien Tag hatte und deshalb niemand auf Jordan hatte aufpassen können.
    Kyra war völlig aufgelöst gewesen. Als sie zur Tür hereingekommen war, sah sie aus wie ein Flüchtling, mit geröteten Augen, ein Papiertaschentuch gegen die ebenfalls rote Nase gedrückt, gramgebeugt wegen Sacheverell (denn Sacheverell war es gewesen; an Hand eines unleugbaren Muttermals an der Unterlippe hatte sie den überlebenden Hund als Osbert identifiziert). Zusammen mit Delaney hatte sie am Morgen über eine Stunde lang auf das Gestrüpp eingedroschen, tränenüberströmt und wie wahnsinnig, ihr Atem ein stoßweises Keuchen - die beiden Hunde waren schon immer bei ihr gewesen, lange bevor sie Delaney kennengelernt hatte, ja sogar bevor Jordan geboren war -, aber irgendwann mußte sie es widerwillig aufgeben und zur Arbeit fahren, wo sie zu spät zu ihrem Zehnuhrtermin kam. Sie zog sich um, legte frisches Make-up auf, tröstete Jordan, so gut sie konnte, und brachte ihn zur Schule, nachdem sie Delaney eingeschärft hatte, den Hund um jeden Preis zu finden. Alle halbe Stunde erkundigte sie sich telefonisch, und obwohl er um die Mittagszeit Gewißheit hatte - eine grimmige, definitive Gewißheit, die im Moment in ein halbes Dutzend Papiertücher eingewickelt in der Tasche seines Anoraks ruhte -, enthielt er ihr die schlechte Nachricht vor, weil er fand, für einen Tag habe sie schon genug Entsetzliches erlebt. Als sie heimkam, hielt er sie lange in seinen Armen und raunte leise, tröstliche Worte, dann ging sie zu Jordan ins Zimmer, der mit Schüttelfrost und Fieber vorzeitig aus der Schule nach Hause geschickt worden war. Es war eine triste Szene. Kurz bevor er zu der Versammlung aufbrach, sah Delaney nach ihnen - Mutter und Sohn hatten sich in Jordans Kinderbett mit Osbert und Dame Edith, der Katze, zusammengekauert und erinnerten an

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