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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ist ein Sumpf. Die ganze Welt ist ein Sumpf. Machen wir uns nichts vor: Deshalb sind wir doch hier, deshalb sind wir von dort weg. Wer die Welt retten will, bitte, der soll nach Kalkutta gehen und bei Mutter Teresa mitarbeiten. Ich sage euch, dieses Tor ist genauso nötig, so unumgänglich, ja unentbehrlich wie die Dächer über unseren Köpfen und die Sicherheitsschlösser an unseren Türen. Macht euch doch nichts vor«, dröhnte er. »Schnallt es endlich, wie meine Tochter sagt. Ehrlich, Leute, was soll das Gerede?«
    Delaney hielt das Ding in seiner Tasche krampfhaft gepackt, den blutigen Überrest jenes unschuldigen Hundes, und er konnte sich nicht mehr beherrschen - alles kam zusammen: Jack Cherrystones düstere Worte, der Tag, den er hinter sich hatte, Kyras Gesichtsausdruck, als sie mit ihrem Sohn und den verstörten Tieren auf das kleine Bett niedergesunken war. Seine Hand schoß in die Höhe.
    »Delaney Mossbacher«, säuselte Jack Jardine.
    Gesichter drehten sich zu ihm. Alle reckten die Hälse.
    Das braungebrannte Paar neben ihm öffnete erwartungsvoll den Mund.
    »Ich wollte nur mal wissen«, begann er, aber noch ehe er halbwegs in Fahrt kommen konnte, unterbrach ihn irgendwer weiter vorn mit dem Ruf »Lauter!«. Er räusperte sich und versuchte die Stimme dem Raum anzugleichen. Sein Herz raste. »Ich sagte, ich wollte nur mal wissen, wie viele von euch hier wissen, was passieren kann, wenn ihr die Coyotenpopulation dieser Gegend füttert ...«
    »Bitte zur Sache!« verlangte eine Stimme. Ein entnervtes Seufzen erhob sich in der Menge. Mehrere Hände schössen in die Höhe.
    »Das ist keine banale Frage«, beharrte Delaney und starrte hitzig um sich. »Mein Hund - also, der Hund meiner Frau ...«
    »Tut mir leid, Delaney«, sagte Jack Jardine und beugte sich zum Mikrophon vor, »aber wir diskutieren hier momentan die Frage der Errichtung und des Betriebes eines Tors an der Zufahrtsstraße. Ich muß dich bitten, entweder dazu zu sprechen oder das Wort einem anderen zu überlassen.«
    »Aber Jack, du verstehst mich nicht - heute früh ist ein Coyote in unser Grundstück eingedrungen und hat ...«
    »Zur Sache!« rief jemand.
    »Zur Sache oder das Wort abtreten!«
    Delaney war plötzlich zornig, zum zweitenmal an diesem Tag, er kochte vor Wut. Warum wollten die Leute nicht zuhören? Wußten sie nicht, was geschah, wenn sie wildlebende Fleischfresser fütterten wie Enten im Park? »Ich trete das Wort nicht ab«, sagte er, worauf das Publikum zu zischen anfing, und dann hatte er plötzlich Sacheverells abgebissene weiße Vorderpfote in der Hand, mit einem schwarzen Strumpf aus Blut darüber, und er schwenkte sie wie ein Schwert. Er sah die entsetzten Gesichter des Paars neben ihm, das unwillkürlich zurückwich, er spürte auch eine Bewegung zu seiner Rechten, und Jack Cherrystones verstärkte Stimme dröhnte ihm in den Ohren, aber es war ihm egal - sie würden ihm zuhören, sie mußten einfach. »Das hier!« brüllte er in das Gezeter. »Das hier passiert dann!«
    Später, als er auf den Stufen vor dem Gemeinschaftszentrum saß und sich von der Nacht das verschwitzte Gesicht kühlen ließ, überlegte er, wie er Kyra die Neuigkeit am besten beibringen sollte. Beim Weggehen hatte er sie lahm getröstet, daß der Hund vielleicht ja wieder auftauche - womöglich habe er entwischen können und sich nur verirrt -, jetzt aber kannte ganz Arroyo Blanco das scheußliche Schicksal von Sacheverell. Und erreicht hatte Delaney nichts, rein gar nichts - außer daß er sich zum Narren gemacht hatte. Er stieß einen Seufzer aus, warf den Kopf zurück und starrte auf das trübe Leichentuch des Nachthimmels. Es war ein Scheißtag gewesen. Nichts hatte er zustande gebracht. Nicht ein Wort geschrieben. Nicht einmal am Schreibtisch hatte er gesessen. Er hatte ausschließlich an den Hund gedacht - und an das zerkaute Stück Knochen mit Fellresten, das er in einem Loch unter einem staubigen Manzanitabusch gefunden hatte.
    Drinnen stimmten sie gerade ab. Die Fenster schnitten Löcher in den Vorhang der Nacht, grelle rechtwinklige Einschnitte vor dem schwarzen Hintergrund der Berge. Er hörte Stimmengemurmel, das chaotische Scharren und Kratzen menschlicher Aktivitäten. Eben wollte er aufstehen und nach Hause gehen, als er eine Gestalt bemerkte, die oben an der Treppe reglos verharrte. »Wer ist da?« fragte er.
    »Ich bin's, Mr. Mossbacher«, drang eine Stimme aus der Dunkelheit, dann trat die Gestalt in das Licht, das die Fenster

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