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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Zahlungen aufgebrummt kriegen ...«
    »Jim Shirley«, sang Jack, und Doris Obst sank auf ihren Stuhl zurück, während weiter hinten ein Mann aufstand, als wären sie beide Tasten ein und desselben Instruments. Konsterniert stellte Delaney fest, daß er auch diesen Mann nicht kannte.
    »Was ist mit den Einbrüchen?« fragte Jim Shirley. In seiner Stimme schwang ein zorniger Unterton mit. In der Menge erhob sich zur Antwort Gemurmel, empörte Rufe und allgemeine Zustimmung. Tim Shirley war ein großer, vollbärtiger Mann Mitte Fünfzig, der aussah wie mit der Fahrradpumpe aufgeblasen. »Direkt in meiner Nachbarschaft - Via Dichosa ist das, ja? - sind allein im letzten Monat zwei Häuser ausgeraubt worden. Bei den Caseys haben sie Teppiche im Wert von, na, so um die fünfzigtausend Dollar mitgenommen, während sie in Europa waren, außerdem noch die Video-Stereo-Anlage - ganz zu schweigen von ihrem brandneuen Nissan-Pick-up. Ich weiß nicht, wie viele von euch hier die übliche Vorgehensweise kennen, aber jedenfalls brechen diese Typen meistens die Garagentür auf - der automatische Offner hat immer etwas Spiel -, und dann lassen sie sich Zeit bei der Arbeit, laden sämtliche Wertsachen in euer eigenes Auto und fahren am Ende damit weg, als wär's ihres. Bei den Caseys waren sie unverschämt genug, sich noch ein halbes Dutzend Hummerschwänze aus der Tiefkühltruhe aufzutauen und sie mit zwei Fläschchen Perrier-Jouet runterzuspülen.«
    Ein Raunen durchlief die Menge, in dem Groll und Ärger mitschwangen. Selbst Delaney sah sich einen Augenblick lang von dem blutigen Beweismittel in seiner Tasche abgelenkt. Verbrechen? Hier oben? War das nicht das, wovor sie hierher geflüchtet waren? War das denn nicht der Sinn dieser Wohnanlage? Mit einem Mal schien das Tor gar keine so schlechte Idee mehr zu sein.
    Delaney fuhr zusammen, als der Mann neben ihm - der Sportler - den Arm hochriß und zu sprechen begann, ehe ihm Jack Jardine offiziell das Wort erteilen konnte. »Ich kann gar nicht glauben, was ich hier höre«, sagte er, und seine langbeinige Frau schmiegte sich noch enger an ihn; in ihren Augen glänzten Stolz und moralische Autorität. »Wenn wir eine Wohngegend mit bewachtem Tor gewollt hätten, wären wir nach Hidden Hills oder Westlake gezogen, aber wir wollten keine. Wir wollten eine offene Gemeinschaft, die Freiheit, zu kommen und zu gehen - nicht nur für jene, die so privilegiert sind, sich das Leben hier oben leisten zu können, sondern für jeden - jeden Staatsbürger, ob arm oder reich. Ich weiß nicht, wie's bei euch ist, aber ich hab mir die Hörner in den Sechzigern abgestoßen, und mir geht es einfach gegen den Strich, in einer Gegend zu wohnen, wo man jemandem die Zufahrt verweigert, nur weil er nicht so ein schickes Auto oder so ein großes Haus hat wie ich. Ich meine, was kommt denn als nächstes - Armbänder zur Identitätskontrolle? Metalldetektoren?«
    Jack Cherrystone tippte den Vorsitzenden ungeduldig an den Ellenbogen, und Jack gab ihm mit einem Nicken das Wort. »Wem wollen wir denn hier etwas vormachen?« fragte er so laut, daß es aus den Lautsprechern donnerte wie die Stimme Gottes des Allmächtigen. Jack Cherrystone war klein, kaum eins achtundsechzig, aber er hatte der Welt größte Stimme. Er verdiente sein Geld in Hollywood, als Sprecher in den Trailern für Kinofilme, seine Stimme rollte durch ganz Amerika wie eine Lastwagenflotte, ominös, sonor, hysterisch. Millionen von Zuschauern in den Kinos von San Pedro bis Bangor zuckten auf ihren Sitzen zusammen, wenn sie die rasch wechselnden Bilder von Sex und Verwüstung über die Leinwand flackern sahen und dazu von Jack Cherrystones dröhnendem Bariton angefallen wurden, und auch seine Nachbarn und Bekannten in Arroyo Blanco Estates richteten sich in ihren Sitzen ein wenig auf, als er sprach. »Ich bin ebenso liberal wie jeder hier im Saal - mein Vater hatte den Vorsitz in Adlai Stevensons Wahlkomitee, zum Donnerwetter -, aber ich sage euch, wir müssen diesen Vorfällen ein Ende machen.«
    Pause. Der ganze Raum war auf den kleinen Mann auf dem Podium konzentriert. Delaney brach der Schweiß aus.
    »Gerne würde ich die ganze Welt willkommen heißen, ganz egal wie arm einer ist oder aus welchem Land er kommt; gerne würde ich meinen Hintereingang offen und die Fliegentür unverschlossen lassen, so wie es in meiner Kindheit war, aber ihr wißt doch ebensogut wie ich, daß diese Zeiten vorbei sind.« Er schüttelte traurig den Kopf. »L. A.

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