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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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seinem Obstsalat zu rühren, ein Kratzen und Klappern, das das feuchtschmatzende Kaugeräusch begleitete. Delaney stand mit dem Rücken zum Tisch und putzte die Arbeitsfläche neben dem Herd, obwohl jedwede Öl- oder Soßenspritzer allein in seiner Phantasie existierten, denn er hatte überhaupt nichts gekocht. Er putzte nur aus Freude am Putzen. »Okay, Cowboy«, sagte er über die Schulter, »du hast heute die Wahl zwischen zwei Sorten Müsliriegel: entweder Heidelbeer-Nuß oder Brombeer-Spezial. Was für einer darf es sein?«
    Aus dem mit Kiwis vollgestopften Mund: »Papaya-Kokosnuß.«
    »Davon hast du gestern den letzten gegessen.«
    Keine Antwort.
    »Also, was darf es sein?«
    Kyra bestand für ihren Sohn auf dem vollen Ernährungsprogramm, Morgen für Morgen - frisches Obst, Müsli mit Magermilch und Bierhefe, dazu ein Gesundheitsriegel. Das Kind brauchte Ballaststoffe. Vitamine. Vollkornprodukte. Und das Frühstück war, zumindest für den Heranwachsenden, die wichtigste aller Mahlzeiten. Grundlage für alles, was der Tag bringen mochte. So sah es Kyra jedenfalls. Und obwohl sie diese Diät in Delaneys Augen einen Hauch zu autokratisch, ja fanatisch durchzog, hielt er sie alles in allem ebenfalls für richtig. Er und Kyra hatten vieles gemeinsam, nicht nur vom Temperament her, sondern auch in ihren Ansichten und Idealen - darin hatte von Anfang an die gegenseitige Anziehungskraft bestanden. Zum Beispiel waren sie beide Perfektionisten. Unordnung war ihnen gleichermaßen zuwider. Sie waren Jogger, Nichtraucher und tranken nur in Gesellschaft, sie waren zwar keine hundertprozentigen Vegetarier, aber doch sehr ernährungsbewußt, was den Verzehr tierischer Fette anging. Sie waren Mitglieder im Sierra Club, beim Kinderhilfswerk, der National Wildlife Federation und der Demokratischen Partei. Eine zeitgenössische Einrichtungsweise zogen sie dem Early-American-Stil und Kitsch vor. In religiösen Fragen waren sie Agnostiker.
    Delaneys Frage blieb unbeantwortet, aber er war es gewöhnt, Jordan zum Essen überreden zu müssen. Er schlich auf Zehenspitzen durch die Küche, bis er direkt hinter dem Jungen stand, der mit seinem Löffel herumspielte und leise etwas vor sich hinsang. »Trefferquote, Trefferquote«, murmelte Jordan und stocherte dabei ohne viel Begeisterung in seinem Müsli herum. »Ohne Hingucken«, sagte Delaney und berührte den Jungen als Lockreiz auf beiden Seiten des dünnen, schlaffen Halses mit einem folienverpackten Ballaststoffriegel - »rechts oder links?«
    Jordan griff mit der Linken nach oben, womit Delaney gerechnet hatte, und packte den Brombeer-Riegel, gerade in dem Moment, als Kyra in ihren Stöckelschuhen in die Küche klapperte, leicht gebeugt unter der Last von zwei Schachteln mit handschriftlich adressierten Briefumschlägen - handgeschöpftes Papier, 90 g. Sie blies zwei angedeutete Küßchen in Richtung von Ehemann und Sohn und sank dann auf ihren Stuhl, goß sich eine halbe Tasse Kaffee ein, dazu Magermilch - des Kalziums halber -, und fing an, die Umschläge zielstrebig zu sortieren.
    »Wieso kann ich keine Sugar-Pop-Cornflakes oder Honig-Nuß-Cheerios kriegen, wie andere Kinder? Oder Eier mit Schinken?« Jordan hob weinerlich die Stimme. »Mom? Warum nicht?«
    Kyra gab ihm die Standardantwort - »Weil du nicht die anderen Kinder bist, darum« -, und Delaney fühlte sich in die eigene Kindheit zurückversetzt, an einen verregneten Abend in einem nie enden wollenden Winter, vor sich einen Teller mit Leber, Zwiebeln und Salzkartoffeln.
    »Ich hasse Müsli«, konterte Jordan, und es war wie im No-Theater, ein zeitloses Ritual.
    »Es ist gut für dich.«
    »Ja, sicher.« Jordan machte ein übertrieben lautes Schmatzgeräusch und schlürfte die Milch durch die Zähne.
    »Denk doch nur an die vielen kleinen Kinder, die gar nichts zu essen haben«, sagte Kyra, ohne aufzusehen. Jordan hielt sich ans Drehbuch und erwiderte wie aus der Pistole geschossen: »Schicken wir denen doch das hier!«
    Jetzt sah sie auf. »Iß«, sagte sie, und das Drama war vorbei.
    »Viel zu tun heute?« murmelte Delaney, während er Kyra den Orangensaft neben die Zeitung stellte und die kindersicheren Verschlüsse der Plastikdosen ihrer Vitamin- und Mineralientabletten öffnete. Er erledigte diese kleinen Sachen für sie - aus Liebe und Zuneigung, aber auch in dem Bewußtsein, daß sie den größeren Teil des Haushaltseinkommens verdiente und außerdem zum Arbeiten wegfahren mußte, während er zu Hause bleiben

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