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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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und darüber hinweg, als wäre es eine Art Zirkusnummer. Delaney brüllte laut, um sich selbst zu hören, brüllte irgendeinen Unsinn, und stürmte durch den Garten, während der verbliebene Hund (Osbert? Sacheverell?) in einer Ecke kauerte und der braune Schemen bereits mit dem Knöterich, den Chamisosträuchern und dem harten hohen Gras des unwegsamen Abhangs verschmolz, der in die wilden Berge überging.
    Er dachte keinen Moment lang nach, sondern war in zwei Sätzen oben auf dem Zaun und sprang auf der anderen Seite herunter, wobei er einen flüchtigen Blick auf die Pfotenabdrücke im Staub warf, und dann raste er querfeldein durch das Gestrüpp, hechtete über Felsen und Sträucher und wich behende den dornigen Yuccapflanzen aus, die den Abhang wie eine Brustwehr überzogen. Er rannte, das war alles, was er wußte. Zweige packten ihn wie Klauen. Stachlige Kletten bohrten sich in seine Knöchel. Er ließ nicht locker, verfolgte eine undeutliche Bewegung, hie und da ein weißes Aufblitzen: mal sah er ihn, dann wieder nicht. »He!« schrie er. »He, verdammt noch mal!«
    Der Hang wurde steil, weiter oben ragten aus dem farblosen Gestrüpp Walnußbäume und zackige Basaltfelsen, die aussahen, als wären sie über Nacht aus der Erde gesprossen. Auf einmal erblickte er das Vieh wieder, spitze Schnauze und gelbe Augen, hoher, steifbeiniger Gang, während es sich mit seiner Last abmühte. Es strebte schnurstracks nach oben, zu den Bäumen. Er brüllte noch einmal, und diesmal ertönte eine Antwort von weiter unten. Ein Blick über die Schulter sagte ihm, daß Kyra den Hang heraufkam, mit langen Joggerschritten, in Rock und Bluse - und in Strümpfen. Sogar auf die Entfernung erkannte er ihren Gesichtsausdruck - das grimmig vorgeschobene Kinn, den zusammengepreßten Mund und die blitzenden Augen, die Verderben bedeuteten für jeden, der sich ihr in den Weg stellte, ob es nun ein Fremder war, der seinen Hund im Auto einsperrte, ohne die Fenster einen Spalt zu öffnen, oder ein unseliger Hausbesitzer, der ihr Angebot ausschlug. Sie kam ihm nach, und das spornte Delaney an. Wenn er dem Coyoten dicht auf den Fersen blieb, würde das Tier den Hund loslassen, es mußte ihn einfach loslassen.
    Als er bei den Nußbäumen ankam, schmerzte ihm die Kehle. Schweiß brannte in seinen Augen, und seine Arme waren mit Schrammen und Kratzern überzogen. Von dem Hund war nirgends etwas zu sehen, und er brach durch die Bäume in die Senke zum Fuß des nächsten Hügels. Dort war das Gestrüpp dichter - zwei Meter hoch und so verwachsen, daß man an manchen Stellen eine Machete gebraucht hätte -, und ihm wurde klar, trotz dem Getrommel in seinen Ohren und der hormonellen Anspannung, die ihn in rasender Bewegung hielt und ständig die Fäuste ballen ließ, daß es schlecht aussah. Ziemlich schlecht. Da vorne gab es ungefähr tausend Büsche - fünftausend, zehntausend -, und der Coyote konnte sich unter jedem versteckt haben.
    Er beobachtete ihn auch jetzt, das wußte Delaney, beobachtete ihn aus seinen wachsamen Schlitzaugen, wie er hin und her rannte, hektisch das stumme Gewirr aus Blättern, Zweigen und Dornen absuchte, und dieser Gedanke machte ihn wütend. Noch einmal brüllte er, in der Hoffnung, das Tier aufzuscheuchen. Doch der Coyote war zu schlau für ihn. Die Ohren angelegt, seine Beute mit Zähnen und Vorderpfoten erdrückend, konnte er stundenlang völlig reglos daliegen. »Osbert?« rief Delaney, aber seine Stimme verklang in einem hilflosen Klageton. »Sacheverell?«
    Der arme Hund. Nicht einmal gegen ein Kaninchen hätte er sich wehren können. Delaney stellte sich auf die Zehenspitzen, reckte den Hals und spähte zornig in den nächstgelegenen Busch. Wie jeden Morgen erzeugten die langgezogenen, schrägen Sonnenstrahlen ein gleichmütiges Lichtspiel im Blattwerk, und er sah in die erleuchtete Tiefe des Busches und fühlte sich plötzlich elend und leer, ausgehöhlt von Verlust und Hilflosigkeit.
    »Osbert!« Der Laut schien aus ihm herauszuplatzen, als könnte er seine Stimmbänder nicht mehr beherrschen. »Hierher, alter Junge! Komm!« Dann schrie er Sacheverells Namen, immer wieder, aber es kam keine Antwort, bis auf einen fernen Ruf von Kyra, die jetzt offenbar weit weg zu seiner Linken war.
    Mit einem Mal wollte er irgend etwas zerstören, die Sträucher an den Wurzeln aus der Erde reißen. Das hätte nicht passieren müssen. Keineswegs. Wenn nur diese Idioten nicht wären, die den Coyoten Futter hinausstellten, als

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