Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
Vom Netzwerk:
Besitzer dieses unschätzbaren Instruments wieder auftauchen sollte, geben Sie ihm bitte meine Karte, ich muss nämlich, Gott sei’s geklagt, jetzt wirklich aufbrechen.‹ Und mit diesen Worten entfernt sich Barrington, ein Mann, der weiß, dass verpasste Gelegenheiten und verpasste Züge so schnell nicht wiederkehren.
    Der Wirt betrachtet die Violine, Gier und Neugier mischen sich in seinen Adern, und in seinem Innern beginnt ein Plan Gestalt anzunehmen. Aber die Minuten verstreichen, und Abraham ist immer noch nicht aufgetaucht. Es wird spät, doch da kommt er schließlich durch die Tür, Abraham, unser Geiger, schäbig, aber stolz, und in der Hand hält er eine Brieftasche, auch sie hat bessere Tage gesehen, doch hat sie selbst zu ihren Glanzzeiten nie mehr als hundert Dollar enthalten, und aus dieser Brieftasche also nimmt er das Geld, um die Rechnung für sein Essen oder seine Übernachtung zu bezahlen, und bittet um die Rückgabe seiner Violine.
    Der Herr Wirt legt die Geige in ihrem Kasten auf den Tresen, und Abraham nimmt sie daraufhin wie eine Mutter ihr Kind in den Arm. ›Sagen Sie‹, meint der Wirt (die edle Karte eines Mannes, der fünfzigtausend Dollar, gutes bares Geld, zu zahlen gewillt ist, brennt in seiner Innentasche), ›wie viel ist so eine Geige wert? Meine Nichte ist nämlich von dem Wunsch beseelt, das Geigenspiel zu erlernen, und ihr Geburtstag steht demnächst an.‹
    ›Diese Geige verkaufen?‹, sagt Abraham. ›Das könnte ich um mein Leben nicht. Ich habe sie seit zwanzig Jahren, o ja, und ich habe sie in jedem einzelnen Bundesstaat der Union gespielt. Und, um die Wahrheit zu sagen, sie hat mich seinerzeit gut fünfhundert Dollar gekostet.‹
    Unser Herr Wirt unterdrückt das Lächeln, das sich ihm auf die Lippen legen will. ›Fünfhundert Dollar? Und wenn ich Ihnen tausend Dollar dafür bieten würde, bar auf die Hand?‹
    Der Geiger scheint zunächst erfreut zu sein, dann jedoch niedergeschlagen, und er sagt: ›Aber mein Gott, ich bin Geiger, Sir, das ist der einzige Beruf, auf den ich mich verstehe. Diese Geige kennt und liebt mich, und meine Finger sind so vertraut mit ihr, dass ich Ihnen im Dunkeln auf ihr vorspielen könnte. Wo würde ich eine andere finden, die ebenso klingt? Tausend Dollar sind gutes Geld, aber hier gilt es meinen Lebensunterhalt. Nicht für tausend Dollar, und auch nicht für fünftausend.‹
    Unser Herr Wirt sieht seinen Profit schrumpfen, aber so ist das Geschäftsleben nun mal, wer einen Gewinn erzielen will, muss investieren. ›Achttausend Dollar‹, sagt er. ›So viel ist sie zwar nicht wert, aber sie hat es mir nun einmal angetan, außerdem liebe ich meine Nichte und möchte sie verwöhnen.‹
    Abraham stehen bei dem bloßen Gedanken, seine geliebte Geige wegzugeben, beinahe die Tränen in den Augen, aber wie könnte er zu diesem Angebot Nein sagen? Zumal jetzt unser Wirt zu seinem Wandsafe geht und nicht nur acht-, sondern sogar neuntausend Dollar herausholt, hübsche verschnürte Bündel, die nur darauf warten, die leeren Taschen des Geigers zu füllen. ›Sie sind ein guter Mensch‹, sagt er zu dem Wirt. ›Sie sind ein Heiliger! Aber Sie müssen mir versprechen, auf mein Mädchen gut Acht zu geben!‹ Und dann übergibt er dem Mann widerstrebend seine Violine.«
    »Aber was passiert, wenn Ihr Herr Wirt einfach Barringtons Karte weitergibt und Abraham erzählt, dass diesem offenbar das Glück hold ist?«, fragte Shadow.
    »Dann müssen wir die Kosten für zwei Abendessen abschreiben«, sagte Wednesday. Er wischte die Soßen- und sonstigen Reste auf seinem Teller mit einem Stück Brot auf, das er dann mit schmatzendem Genuss verzehrte.
    »Mal sehen, ob ich alles richtig mitbekommen habe«, sagte Shadow. »Abraham geht also, neuntausend Dollar reicher, von dannen, und auf dem Bahnhofsvorplatz wartet Barrington schon auf ihn. Sie teilen das Geld, steigen in Barringtons klapprigen Ford und fahren zur nächsten Stadt. Und ich vermute mal, der Kofferraum dieses Wagens steckt voller Hundertdollargeigen.«
    »Ich persönlich habe es mir zur Ehrensache gemacht, niemals mehr als fünf Dollar für die Dinger auszugeben«, sagte Wednesday. Dann wandte er sich der bereitstehenden Kellnerin zu. »So, meine Liebe, erfreuen Sie uns mit einer Beschreibung der üppigen Desserts, die uns an diesem, äh, dem Geburtstag unseres Herrn, zur Verfügung stehen.« Er begutachtete sie – es war schon ein beinahe anzüglicher Blick –, als könnte nichts von dem, was sie

Weitere Kostenlose Bücher